Es sind einige spannende Duos, die es an diesem ersten Lesetag zu beobachten gab. In der Jury, die sich mit Moderator Christian Ankowitsch im Klagenfurter ORF-Theater nach dem Corona-Exil des Vorjahres wieder persönlich trifft, sollen sich mit Mara Delius und Vea Kaiser zwei neue Teilnehmerinnen bewähren. Die Jüngste in der Runde, die österreichische Bestseller-Autorin Kaiser, hat keine Scheu vor ihren Kritikerkollegen und wirft sich von Anfang an mit Verve in das Geschehen - zum Teil unfreiwillig komisch weil belehrend. Etwa wenn sie Kollegen mehrfach tadelt: „Das haben Sie falsch interpretiert“ oder zum Grazer Literaturprofessor Klaus Kastberger sagt: „Das sollten wir nachher noch einmal gemeinsam durchgehen!“
Zwei Österreicherinnen waren es, die nach der Mittagspause und einem Gedicht Friederike Mayröckers, gelesen von Klaus Kastberger, ihre Texte via Video präsentierten. Magda Woitzucks novellenartige Alltagsgeschichte über eine Frau, die im Wald buchstäblich über ihre verstorbene Nachbarin stolpert, riss den aus dem Vorjahr als ständiger Zwischenrufer bekannten Schweizer Philipp Tingler zu Begeisterung hin: „Dieser Text ist grandios!“, während sein Landsmann Michael Wiederstein den Beitrag für „übererzählt“ hielt: „Ich bin da aber eher bei Miss Marple als bei David Lynch“, replizierte er auf ein Urteil von Mara Delius. Wenig anfangen konnten einige Juroren mit dem Text der Salzburgerin Katharina Ferner. So eröffnete etwa die Literatur-Chefin der „Welt“, Mara Delius, die Diskussion mit: „Kann mir jemand diesen Text erklären?“ Versuche dazu gab es: Kastberger erinnerte die „Mikroprosa“ an die österreichische Avantgarde von Wiener Gruppe und Co., Wiederstein dachte an ein „dadaistisches Traumtagebuch“. Jurorin Brigitte Schwens-Harrant, die die Autorin eingeladen hatte, freute sich, dass der viele irritierende Text über Realität und Traum am Ende des ersten Tages dran war und stellte in Richtung ihrer Mit-Juroren fest: „Ihr wollt immer die eine Perspektive, die alles erklärt“. Da war es wieder fast so wie in Vor-Pandemie-Zeiten - das selbstkritische Hinterfragen von Erzählperspektiven, Bewertungskriterien und Geschmacksurteilen unter den Juroren.
Einhelliges Lob für Vater-Sohn-Geschichte
Neo-Jurysprecherin Insa Wilke hatte am Eröffnungstag gleich beide der von ihr vorgeschlagenen Autoren zu verteidigen. Bei Necati Öziri aus Berlin fiel ihr das leicht, denn der Schriftsteller und Theatermacher erntete mit seiner Vater-Sohn-Geschichte „Morgen wache ich auf und dann beginnt das Leben“ fast einhelliges Lob. Nur Philipp Tingler maulte: „Zu betulich. Ich will keine Texte besprechen, wo Haare wuschelig sind.
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Heike Geißlers „stark appellative“ Geschichte über „eine an der Gesellschaft scheiternde Frau“ (Schwens-Harrant), hatte es da viel schwerer, auch wenn Klaus Kastberger meinte: „Der Text wird besser, je öfter man ihn hört.“
Schon beim ersten Mal Lesen hatte ihn hingegen die Geschichte „Ruth“ der Schweizerin Julia Weber beeindruckt: „Das ist der beste Text, den Michael Wiederstein je nominiert hat!“ Der so gelobte Juror sah die sexuell konnotierte Begegnung zweier Frauen als „Dornröschenvariation“, mit der die „Imperfektheit von Körpern zelebriert“ würde. Insa Wilke entdeckte literarische Referenzen zu Maren Adens Film „Toni Erdmann“ bis zu Ingeborg Bachmann. Und Vea Kaiser empfand vor allem Bewunderung für junge Autorinnen, „die so über Sex schreiben" könnten.
Karin Waldner-Petutschnig