Birgit Birnbacher verfügt nicht über eine "klassische" Autorinnenkarriere verfügt sie nicht. Auch ihr Video-Porträt auf der Bachmann-Preis-Homepage verrät mehr über ihren Text als über die Autorin. Es spielt im Museum Arbeitswelt in Steyr und führt quasi an den Ursprung des Textes.
"Mein Besuch dort hat in mir viel ausgelöst", sagt die in Salzburg lebende Autorin. "Es ist ein Text, den ich schon lange schreiben wollte, aber nicht unbedingt ein Lieblingstext von mir. Je öfter ich ihn lese, desto näher komme ich ihm." Es geht um Fragen prekärer Arbeitsverhältnisse, mit denen sie sich als Sozialarbeiterin ebenso auseinandergesetzt hat wie als Autorin. Dass Birnbacher im Video ganz hinter ihren Text zurücktritt, hat damit zu tun, dass sie auf Selbstdarstellung gut verzichten kann, nicht aber damit, "dass ich nichts preisgeben möchte von mir", versichert sie im Gespräch mit der APA.
Die Biografie der 1985 in Schwarzach im Pongau Geborenen liest sich jedenfalls interessant. Sie machte nach frühem Schulabbruch zunächst eine Lehre, arbeitete als Behindertenpädagogin in der Kinder- und Jugendarbeit, studierte später Soziologie. Ihr 2016 erschienener Debütroman "Wir ohne Wal" ist zweifellos ohne diese Erfahrungen kaum denkbar.
"Ich habe ja erst spät studiert, da hatte ich schon zwei Berufe. Zu dieser Zeit war ich neun Jahre in der Betreuung von Menschen mit Behinderung tätig. Ein sehr schöner Beruf, der aber auch viel mit Zuschreibungen zu tun hat. Die Soziologie war dann für mich so faszinierend, weil sie eine empirische Beschreibung der sozialen Wirklichkeit leisten kann. Dieser Schreib- und Denkansatz war so etwas wie eine Dauer-Reha vom restlichen Leben für mich, eine ganz neue Sprache", so Birnbacher. "Beruflich habe ich immer sehr viel mit den Schicksalen und Lebenswegen von Menschen zu tun gehabt, ein ganz wichtiger Teil dieser Arbeit besteht aus Zuhören und Nachfragen. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, dass einen das im Schreiben nicht beeinflusst."
Dass sie als Jugendliche u.a. in Äthiopien und Indien Freiwilligenarbeit geleistet hat, sieht sie heute durchaus kritisch. "Heute verstehe ich das nicht mehr, aber früher war es normal für mich, in Indien dritte Klasse 20 Stunden Zug zu fahren oder in Zentralafrika Rad oder Autostopp, nur weil das 50 Cent weniger kostet oder billiger ist. Dabei ist man sich dann auch noch gut vorgekommen. Damals hatte ich überhaupt kein Bewusstsein für die Präpotenz dieses Zugangs. Irgendwann bin ich draufgekommen, dass mein Erkenntnisgewinn aus all diesen Reisen und Arbeitsaufenthalten im Vergleich dazu, was ich eigentlich alles erlebt habe und mitkriegen hätte können, erschreckend gering ist. Ich habe mich geschämt, und schließlich ganz damit aufgehört."
So richtig angefangen hat ihre Autorinnenkarriere erst vor vier Jahren - und doch ist die Liste der Auszeichnungen bereits so lange wie jene ihrer Veröffentlichungen. Der Rauriser Förderungspreis 2015 war "ein ganz besonderer Preis, der mir sehr viel bedeutet. Die Intendanten, die ehemalige Intendantin, ich fühle mich ihnen nahe und es war auch ein bisschen so wie eine literarische Taufe. Die freundliche Anerkennung, die einem da entgegenschlägt, bedeutet mir heute noch viel." Im selben Jahr gab es gleich einen weiteren Preis. "Beim Irseer Pegasus habe ich nicht den Jurypreis, sondern den Autorenpreis zugesprochen bekommen, der von den anderen TeilnehmerInnen vergeben wird. Diese Zusammenkunft war überhaupt speziell, da waren so liebe und besondere Leute dabei, das war irgendwie wie so ein Klassentreffen, nur dass wir nie eine Klasse waren. Es sind Freundschaften entstanden, man hat einander danach in den jeweiligen Städten besucht." Und der Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung 2016 war u.a. aus einem Grund besonders: "Das Preisgeld ist für Autorenverhältnisse ein Jahresgehalt."
In Klagenfurt las Birgit Birnbacher auf Einladung von Stefan Gmünder. "Er hat mich vor zwei oder drei Jahren einmal gefragt, ob ich mir vorstellen kann, in Klagenfurt zu lesen. Letztes Jahr habe ich ihn dann gefragt, ob das noch gilt." In den vergangenen Jahren seien immer wieder Bekannte von ihr angetreten, daher glaube sie, die spezielle Art der öffentlichen Kritik ganz gut einschätzen zu können, meint die Autorin: "Ich versuche natürlich, mir selbst gut zuzureden, aber wissen kann man vorher nicht, wie es einem dann geht. Es schützt mich auch nicht unbedingt, dass ich mich mit einem Text dort vorstelle, der genau dem entspricht, was ich gerne mache und den ich für repräsentativ für die eigene Arbeit halte. Was aber sicher immer hilft, ist so zu arbeiten, dass man sich zumindest keine Bequemlichkeit vorzuwerfen hat. Am blödesten wäre, sie machen einen fertig und man selber weiß, da wäre noch was gegangen in der Arbeit am Text, da hätte man mehr Möglichkeiten gehabt, da hätte man mehr gekonnt."
Dass sie literarisches Schreiben nicht studiert und "auch keine Ahnung von Germanistik oder Literaturwissenschaft" hat, sieht Birnbacher als Nachteil. "Für mich geht es dabei also immer um persönliche Möglichkeiten, den persönlichen Rahmen von dem, was möglich ist. An einen Text habe ich schon den Anspruch, dass er während des Entstehungsprozesses in meinem Denken und Vorankommen als Mensch etwas verändert. Wenn es weh tut und mühselig ist, ist das meistens ein gutes Zeichen. Wenn es nur leicht geht, hat jedenfalls irgendwas nicht gestimmt."
Eine Mühsal hat die Mutter eines dreijährigen Buben jedenfalls hinter sich: Der neue Roman ist nach vier Jahren Arbeit und dank eiserner Schreibdisziplin fast abgeschlossen. Birgit Birnbacher blickt dem Klagenfurter Literaturevent daher entspannt entgegen. Und wird, egal wer am Ende den Bachmann-Preis nach Hause trägt, unmittelbar darauf wieder ihre Stelle als Soziologin antreten.