"Geschockt" zeigte sich Tanja Maljartschuk in einer ersten Reaktion. Die in Wien lebende Ukrainerin ist mit dem mit 25.000 Euro dotierten Bachmann-Preis ausgezeichnet worden. In ihrem Text "Frösche im Meer" geht es um den Migranten und Hilfsarbeiter Petro, der sich mit einer dementen alten Frau anfreundet, die er im "Froschpark" einmal kennengelernt hat und eines Tages vermisst. Er sucht sie auf, kümmert sich um sie und wird von Frau Grill für ihren Ehemann gehalten. Sein letzter Besuch verläuft allerdings ganz anders als erwartet, als schließlich die Polizei auftaucht. Petro hat jedoch keine Papiere. "Das Thema Immigration geht mir nahe", so Maljartschuk im 3sat-Interview: "Die Migranten kommen in ein Land und glauben, es geht ihnen nun gut. Aber in Wahrheit ist es oft ein Leben im Schatten. Diese Geschichte soll eine Art Erlösung für diese Menschen sein", so die sympathische Preisträgerin.

Investigativjournalistin

Die 35-Jährige, die hierzulande durch ihren im Residenz Verlag auf Deutsch erschienenen Roman "Biografie eines zufälligen Wunders" bekannt wurde, war in ihrem Heimatland Ukraine u.a. als Investigativjournalistin tätig. Und hat alleine davon einiges zu erzählen.

"Damals musste ich vor allem mit irgendwelchen Arschlöchern und Verbrechern reden. Manchmal war das richtig gefährlich", erinnert sich die in Iwano-Frankiwsk Geborene an ihre Zeit als Fernsehjournalistin in Kiew. Bei einer Reportage über illegalen Kohleabbau in Donezk etwa sei sie mit einer Kugelschreiber-Kamera für ihren Kameramann eingesprungen, der gekniffen habe. "Da hatte ich wirklich weiche Knie", sagt Maljartschuk.

Wer so etwas erlebt hat, den kann ein Antreten beim Wettlesen um den Bachmann-Preis nicht erschüttern. "Ich habe mir zwei Dinge vorgenommen: zu gewinnen und zu genießen", meint die Autorin  im Vorfeld im APA-Interview - was ihr nun auch tatsächlich gelungen ist. Ihr Roman "Vergessenheit" wird im Frühjahr 2019 bei Kiepenheuer & Witsch herauskommen. Sie erzählt darin von einem polnischen Philosophen und Politiker, der 1918 nach Wien gekommen war, um für den jungen ukrainischen Staat erster Botschafter in Österreich zu werden, und 1933 in der Steiermark gestorben ist.  2016 wurde der Roman in der Ukraine von BBC zum Buch des Jahres gekürt. Das Buch ist, wie auch die "Biografie eines zufälligen Wunders", in Österreich entstanden. "Erst in Österreich habe ich angefangen, Romane zu schreiben."

Lebt in Wien

Seit 2011 lebt Tanja Maljartschuk in Wien. Nach Österreich sei sie der Liebe wegen gekommen, sagt sie: "Mein Mann ist Österreicher." Sieben Bücher hat sie auf Ukrainisch geschrieben. "Dennoch wäre ich nicht sicher, ob ich heute in der Ukraine vom Schreiben leben könnte. Erst in Österreich habe ich verstanden, dass ich Schriftstellerin bin. Hier ist der Status von Literatur ein anderer. In der Ukraine wurde die literarische Tradition in der Sowjetzeit unterbrochen. Noch heute schreiben viele ukrainische Autoren auf Russisch."

Erst seit 2012 lernt sie Deutsch, seit 2014 schreibt sie auch in deutscher Sprache. "Auf Deutsch zu schreiben ist ein Verlust von Anfang an", hadert sie mit ihren mangelnden Deutschkenntnissen. "Die Regeln kann man lernen - obwohl ich noch immer schon und schön verwechsle. Aber es geht darum, dass ich mit dieser Sprache nicht spielen kann. Die kleinen Unterschiede machen den großen Unterschied. Dennoch war es mir ein Bedürfnis, diese Sprache auch literarisch für mich zu entdecken."

Glückliche Gewinnerin: Tanja Maljartschuk
Glückliche Gewinnerin: Tanja Maljartschuk © APA/HERBERT NEUBAUER

Als im Jänner eine Freundin fragte, warum sie eigentlich keinen Text beim Bachmann-Preis einreiche, sei sie gerade in Venedig gewesen. "Dann habe ich am Campo Santa Margherita drei bis vier Aperol getrunken und mir gedacht: Warum eigentlich nicht?" Der Text, den sie daraufhin geschrieben habe, habe einiges mit ihrem eigenen Leben zu tun. Juror Stefan Gmünder hat er gefallen. Auf seine Einladung las sie nun in Klagenfurt.

Politische Situation

Tanja Maljartschuk ist froh, dass sie nach ihrer Literatur und nicht über die politische Situation in ihrer Heimat gefragt wird. Als ihr friedliches Land plötzlich in den Kriegszustand versetzt wurde, sei dies "ein großer Schock" gewesen, erinnert sie sich an die Zeit der Tragödien des Maidan. Viele Veranstalter hätten sie damals eingeladen, um eigentlich über Politik zu diskutieren. "Dafür bin ich aber nicht geschult. Anfangs dachte ich noch, es sei meine Aufgabe als Autorin, das zu kommentieren. Aber ich habe aufgehört, mich zu Wort zu melden. Ich bin auch müde, Russland zu verfluchen. Wenn man hasst, macht man den Feind nur größer."

Eine Ausnahme sei der Fall des in Russland seit 2014 als Terrorist inhaftierten und seit Mai im Hungerstreik befindlichen ukrainischen Filmemachers Oleg Senzow, sagt Maljartschuk. Es sei wichtig, auf ihn aufmerksam zu machen. Doch in der Ukraine gebe es auch viele positive Veränderungen, etwa in der Literaturszene. "Solange man Bücher schreiben kann und diese auch gekauft werden, ist noch nicht alles verloren."