"Suchen Sie in den Texten nicht nach der Welt, sondern in der Welt nach diesen Texten", heißt es in einer von Raphaela Edelbauer ihrem Buch "Entdecker. Eine Poetik" vorangestellten "Gebrauchsanweisung". "Das Ergebnis also ist, dass die Sprache der zentrale Baustein der Welt ist." Edelbauer ging bereits in ihrem Debüt aufs Ganze. Bis jetzt hat sich das für die 28-jährige Wienerin ausgezahlt.

Ihr Buch sei "sowohl eine spannende naturwissenschaftliche Annäherung an die Poesie als auch umgekehrt: eine poetische Annäherung an die Naturwissenschaft. Damit überschreitet die Autorin Grenzen und rückt in unerforschte Gebiete der Literatur vor", hieß es im Februar in der Begründung jener Jury, die Edelbauer den Rauriser Literaturpreis zuerkannte. Eine der Jurorinnen war "FAZ"-Redakteurin Sandra Kegel, die das Kunststück geschafft hat, in den vergangenen drei Jahren jeweils die späteren Bachmann-Preisträger nach Klagenfurt einzuladen. Auch wenn Kegel dort nicht mehr selbst in der Jury ist, wohl kein schlechtes Omen. Edelbauer ist heuer die einzige österreichische Teilnehmerin am Wettlesen.

"Es ist ein Format, das ich immer sehr kritisch gesehen habe", sagt sie im Gespräch mit der APA. "Aber ich glaube an mein Schreiben und an meinen Text." Diesen hat sie extra für Klagenfurt geschrieben und an zwei Juroren geschickt. "Es war tatsächlich ein unverlangt eingesandter Text, was sehr selten ist. Klaus Kastberger scheint er gefallen zu haben. Er hat mich nominiert - obwohl er mich noch nie gesehen hat. Aber man muss der Wahrheit Ehre geben: Es hat sicher eine Rolle gespielt, dass ich in Rauris gewonnen habe, sehr viel schreibe und auch sehr präsent bin im Literaturbetrieb."

Edelbauer hat durch ihr 2013 abgeschlossenes Sprachkunst-Studium an der Universität für Angewandte Kunst viel Sicherheit und Selbstbewusstsein gewonnen. "Wir hatten hervorragende Lehrende, und ich habe unheimlich viel von ihnen gelernt. Aber die Personen, mit denen man permanent konfrontiert ist und mit denen die täglichen Auseinandersetzungen stattfinden, sind die anderen Studierenden. Da hatte ich das Glück, mit einigen sehr hellen Köpfen zu studieren. Wir hatten drei Jahre, frei von Druck Dinge ausprobieren zu können. Diese Freiheit hat man später nie wieder. Hat man einmal seinen Erstling veröffentlicht, ist man sofort drinnen in der Maschinerie."

Erstling

Edelbauers Erstling, erschienen im kleinen Klever Verlag ("Niemand hätte erwartet, dass wir über die erste Auflage hinauskommen. Schon das ist ein außergewöhnlicher Erfolg für so ein komplexes Buch."), ist eine hohe Vorgabe. Mit einer Mischung aus Wucht, Frechheit und Augenzwinkern steckt sie da im Feld der Literatur ihren Claim ab, auf dem sie künftig schürfen möchte. "Ich fand es aus marketingtechnischer Sicht besser, mit etwas Kompliziertem zu beginnen und erst dann einen Roman zu machen. Außerdem war ich immer der Meinung, ich möchte nicht einfach im leeren Raum herumschreiben, sondern ich möchte mit einem Programm herangehen."

Ihre so gefundene persönliche Poetik sieht sie in einer österreichischen Tradition, in der sich Sprachkritik mit inhaltlicher Reibung paart. "Ich beziehe meine Identität als Schriftstellerin maßgeblich davon, eine österreichische Schriftstellerin zu sein. Was mir am meisten an Literatur imponiert, sind die Dinge, die als klassisch österreichische Schreib-Attitüden gesehen werden. Ich möchte eine gewisse Tradition weitertreiben und an die nächste Generation weitergeben. Wir leben in einer rapide sich ändernden Welt - und die Texte können nicht so sein wie vor 20 Jahren, das geht einfach nicht. Es muss Innovation geben, sonst können wir unsere Zeit nicht einfangen und nicht zeitgenössisch schreiben. Für mich ist Literatur ein Menschheitsprojekt."

Große Worte, die es nun einzulösen gilt. In Klagenfurt tritt sie mit einem Text an, der "im Gegensatz zu meinen anderen Texten außergewöhnlich unironisch und schwerwiegend sein wird. Es geht um einen Massenmord. Es geht um kollektives Erinnern und die Landschaft. Ich habe mich jetzt zwei Jahre sehr intensiv mit diesem Komplex beschäftigt." Angelpunkt dieser Beschäftigung war jene Gegend, in der die Wienerin aufgewachsen ist: Mödling und die Seegrotte in der Hinterbrühl, Schauplatz von Nazi-Verbrechen an KZ-Häftlingen, denen Edelbauer in Archiven nachrecherchiert hat und die auch im Zentrum ihres ersten, kürzlich fertiggestellten Romans stehen werden.

Anti-Heimatroman

"Das flüssige Land" ist rund 400 Seiten stark und ein Anti-Heimatroman in der Tradition von Hans Lebert und Elfriede Jelinek, bei denen die verdrängte, verschüttete Vergangenheit ebenfalls im Untergrund schlummert und nicht zur Ruhe kommen will. "Ich habe dabei versucht, eine österreichische Prototypgemeinde zu kreieren. Wir sind gerade in der Situation, dass die letzten Zeitzeugen wegsterben und wir unsere Informationen über eine ganz wesentliche Epoche unserer Geschichte nur noch aus dritter Hand beziehen. Die Beschäftigung mit Erinnerungsphänomenen, der falschen Weitergabe von Erinnerung, ist der wesentliche Stoff meines Romans."

Das Interesse am Manuskript war groß. "Ich glaube, es ist das richtige Projekt zum richtigen Zeitpunkt. Seit die aktuelle Regierung sich formiert hat, ist schlagartig das Interesse daran gewachsen, da man gesehen hat, wie sehr bestimmte Dinge weiterwirken." Und so tritt der erstaunliche Umstand ein, dass der wesentlich wichtigere Termin für Edelbauers Zukunft als Autorin in diesen Tagen nicht in Klagenfurt, sondern im virtuellen Raum stattfindet: bei der Auktionierung ihres Roman-Manuskripts. "Meine Agentin ist sich sehr sicher, dass das etwas Großes wird." Der Bachmann-Preis ist mit 25.000 Euro dotiert. Der Vorschuss für Edelbauers ersten Roman soll, so die Hoffnung, ein Mehrfaches davon betragen.

"Es ist schon ein Seelenfrieden für mich, nach Klagenfurt zu fahren und zu wissen, 2019 wird definitiv ein großes Werk von mir erscheinen", erklärt Edelbauer. "Dafür habe ich ein Jahrzehnt gearbeitet. So lange haben mir so viele Menschen erklärt: Literatur ist brotlos. Es ist unglaublich beglückend zu sehen, dass das nicht stimmt."