Bereits zum dritten Mal finden heuer die „Transnationalen Grazer Literaturtage“ statt. Sie verstehen sich als „Treffpunkt der Sprachen und Weltvorstellungen“. Brisante und zeitlose Themen wie Flucht, Exil, Nationalismus, Kolonialismus und Krieg werden in den literarischen Texten verhandelt, diasporische Dimensionen in Gesprächen thematisiert. Lesungen und Diskussionen gibt es von 19. bis 21. Oktober unter anderen mit Maria Stepanova (Russland), Scholastique Mukasonga (Ruanda/Frankreich), JJ Bola (DR Kongo/Großbritannien) und Adania Shibli (Palästina).

Um Letztere ist nun ein heftiger Literatur- und Politstreit entbrannt. Shibli, die seit Längerem in Deutschland lebt, hätte an diesem Sonntag im Rahmen der Frankfurter Buchmesse für ihren Roman „Die Nebensache“ einen Preis erhalten sollen. Die Verleihung wurde aber verschoben, weil Shibli – in erster Linie in einem Artikel der Zeitung „taz“ – vorgeworfen wird, in diesem Buch antiisraelische und antisemitische Narrative zu bedienen. „Jeder, der das behauptet, sollte zuerst den Roman lesen und dann urteilen“, sagt dazu Adania Shibli im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Es sei ihr vielmehr darum gegangen: „Ich wollte zeigen, wie Literatur Schmerz, Stille, das Fehlen von Sprache und die Grenzen der Geschichte widerspiegeln kann.“

Der Mord des Beduinenmädchens

Der Roman ist in zwei Teile gegliedert: Der erste Teil spielt 1949, also nur ein Jahr nach dem Israelischen Unabhängigkeitskrieg. Schauplatz ist die Negev-Wüste, wo israelische Soldaten ein Beduinenmädchen aufgreifen. Es kommt zu einer Massenvergewaltigung und schließlich zur Ermordung des Mädchens. Das ist keine Fiktion, dieses abscheuliche Verbrechen ist historisch verbrieft. Im zweiten Teil begibt sich eine junge Palästinenserin, die von der Tatsache fasziniert ist, dass sie genau 25 Jahre nach der Ermordung des Mädchens geboren wurde, auf die Suche nach den Hintergründen dieses Verbrechens. Auf ihrer atemlosen Odyssee fährt sie an Checkpoints und verlassenen Palästinenserdörfern vorbei, findet schließlich den damaligen Tatort, macht sich dort aber so verdächtig, dass sie von israelischen Soldaten erschossen wird.

Der Berliner Verlag Berenberg, in dem der Roman 2022 erschienen ist, gibt folgende Stellungnahme ab: „Die Entscheidung, die Preisverleihung zu verschieben, wurde weder gemeinsam mit der Autorin noch mit dem Verlag getroffen. Wir bedauern diese Entscheidung und können sie nicht nachvollziehen. Adania Shibli, die jede Form von Terror und Gewalt vehement ablehnt, hätte die Gelegenheit nutzen wollen, um über Literatur in diesen entsetzlichen und schmerzhaften Zeiten zu sprechen.“

Der Roman ist preiswürdig

Die Causa zog weite Kreise. Doch der Grundtenor ist eindeutig. Kommentatoren von der „New York Times“ bis zur „Zeit“ sind sich einig darüber, dass Shiblis Roman absolut preiswürdig ist und in ihm auch keine Spur von Antisemitismus zu finden sei. Und tatsächlich: Hauptanliegen des Buches ist es vielmehr, Traumata und Wiederholungsspiralen der Gewalt, die sich über Generationen fortpflanzen, zu beschreiben. Shiblis Roman ist trotz des Grauens hochpoetisch, die verzweifelte Suche der Frau im zweiten Teil nach den Wurzeln der Gewalt äußerst beklemmend. „Genau das ist es, was Literatur auf intime und magische Weise tut“, sagt Shibli. „Sie bringt uns dazu, zu fühlen, dass die Figuren tatsächlich uns selbst widerspiegeln.“

Zu den Vorwürfen selbst möchte sich Adania Shibli nicht ausführlich äußern. Nur so viel: „Dieses Aufsehen verschwendet nur meine Zeit und lenkt vom wirklichen Leid und der Gewalt ab, die die Menschen in Palästina und Israel erleiden.“ Zum Literaturfestival „WeltWortReisende“ wird Shibli am Donnerstag trotzdem nach Graz kommen. „Obwohl ich mich leer fühle, respektiere ich das Engagement der Veranstalter und freue mich auf die wunderbaren Autorinnen und Autoren, die eingeladen sind. Vielleicht wird das Festival eine Quelle für erneute Hoffnung.“

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Buchtipp: Adania Shibli. Eine Nebensache. Berenberg Verlag, 117 Seiten, 23,50 Euro.