Erstens. Die Stimme

Dževad Karahasan ist oft als die Stimme Bosniens bezeichnet worden. Als er am 19. Mai in Graz starb, war ich gerade in seinem Land unterwegs, auf einer Lese- und Vortragsreise, von der wir geplant hatten, dass wir sie gemeinsam bestreiten würden. Was das heißt, wenn die Stimme eines Landes, einer Nationalität, Volksgruppe, wie immer wir es nennen wollen, verstummt, erfuhr ich in jenen Tagen, denn wo ich auch hinkam, begegnete ich Menschen, die um ihn trauerten, und bei diesen handelte es sich keineswegs nur um Büchermenschen, die sich von Berufs wegen oder aus Leidenschaft der Literatur verschrieben hatten. Nein, da war der vierschrötige Taxifahrer in Sarajevo, der mit den Tränen rang, als unser flüchtiges Gespräch auf Karahasan kam, die Frühstückskellnerin im Hotel, die ihren Dienst bisher wortkarg versehen hatte und herzergreifend auf mich einzureden begann, kaum dass sie gehört hatte, ich wäre einer, der ihren Karahasan gekannt habe. Sie alle sprachen von ihm als einem der Ihren, von jenem großen Landsmann, der Europa von „uns“, von uns Bosniern erzählt und der Welt gesagt habe, wer wir sind, was wir erlitten haben und wofür wir einstehen. Selbst wenn manche von ihnen seine Bücher wohl gar nicht gelesen hatten, wussten sie doch, dass er auch für sie geschrieben hat. Ja, er war ihre Stimme, sie selbst haben ihn als diese anerkannt und waren dankbar, sie zu haben.

Er war auch für uns im Westen die Stimme Bosniens, mehr als jeder andere Autor der Vergangenheit und von heute, da bosnische Literatur von Rang in den USA, in Deutschland, in vielen Ländern und, natürlich, in Bosnien und der Herzegowina selbst geschrieben wird. Kein anderer hat uns mit gleich viel Leidenschaft und Wissen, Phantasie und Empathie, mit solcher Gelehrsamkeit und diesem gelassenen Humor die Geschichte seines Landes vergegenwärtigt und uns Bosnien als europäische Versuchsstation, in der das Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft, Religion, Lebensformen erprobt wird, so kunstvoll nähergebracht.

Die Stimme - wer hätte je eindringlicher gesprochen als Dževad Karahasan! Wenn er im kleinen Kreis oder vor großem Publikum auftrat, konnte ein jeder glauben, er spräche zu ihm persönlich, durfte eine jede den Eindruck gewinnen, er wende sich speziell an sie. Dies war keine geschickte Selbstinszenierung vor Publikum, wer je das Vergnügen hatte, ein privates Gespräch mit ihm zu führen, weiß, dass er es dabei gerade so hielt. Er fasste sein Gegenüber scharf ins Auge, gestikulierte beschwörend und richtete seine Worte mit oft leiser Stimme an den Gesprächspartner, dessen Einwände er gegebenenfalls aufgriff, weiterspann, seine eigenen Thesen damit modifizierend. Wäre es nicht stets interessant gewesen, was er erzählte, man würde ihm doch zugehört haben, weil es hinreißend war, wie er erzählte, insistierend, aber nicht rechthaberisch. Diese, seine hörbare Stimme ist erloschen, die Stimme, die aus seinen Büchern spricht, wird gehört werden, solange es Menschen gibt, die wissen, dass die wahre Geschichte der Menschen in der Literatur erzählt wird.

Zweitens. Erzählen und erklären

Sein 1997 auf Deutsch erschienener Roman, „Schahrijars Ring“ beginnt mit einem luziden Essay über den Charakter modernen Industriemobiliars. Glas, poliertes Metall, Spannplatte sind Materialien, die zwar schäbig werden können, aber gleichwohl dem, der sie nutzt, keine Erinnerungen ermöglichen. Sie sind, wie Karahasan schreibt, „reine gleichgültige Gegenwart“ und nehmen den Geruch des Menschen nicht an, dessen Leben inmitten solcher Möbelstücke vergeht.

Zehn Jahre später, in seinem vierten Roman, „Nächtlicher Rat“, in dem von Massakern erzählt wird, wie sie in Bosnien periodisch immer wieder verübt wurden, heißt es in einem essayistischen Exkurs hingegen, dass nichts, was auf Erden geschehen ist, jemals völlig vergessen werden kann. Dafür sorgt nicht nur das Erinnerungsvermögen, mit dem der Mensch begabt ist, sondern auch eine Kraft, die in den Dingen, den Erscheinungen des Lebens selber wirkt und in die Welt hinausstrahlen kann. Und darum, so der Erzähler in diesem Roman, „ist es ganz unmöglich, dass etwas einfach spurlos verschwindet“.

Der reinen, gleichgültigen Gegenwart zu trotzen, hat Karahasan Romane, Erzählungen, Essays, Theaterstücke geschrieben, in denen er der Sehnsucht der Menschen, eine Geschichte zu haben, auf den Grund geht und ihren Wunsch rechtfertigt, eine Spur ihrer Existenz zu hinterlassen. Man kann eine Kultur nicht auf die Erinnerung alleine gründen, aber ohne Erinnerung ist es jedenfalls die Barbarei, die herrscht. Darum versuchen Kriegsherren so oft, den Besiegten das Gedächtnis zu nehmen: Sie raubten ihnen die Götter und ersetzten sie durch die eigenen, sie bannten ihre Sprache und nötigten ihnen die ihre auf. 1992 wurde die bosnische Nationalbibliothek mit ihren unersetzlichen Büchern, Handschriften und Folianten nicht versehentlich, sondern von den serbischen Belagerern der Stadt vorsätzlich mit Phosphorbomben in Brand geschossen, auf dass die Erinnerung daran getilgt werde, dass in Sarajevo schon vor langer Zeit die Koexistenz der Kulturen, Ethnien, Religionen erprobt wurde und eine eigene urbane Daseinsform erschaffen hat. Einer der ersten von zahllosen verheerenden Bombenschlägen wiederum, die die russische Luftwaffe gegen die Ukraine schlug, galt im Frühjahr 2022 ausgerechnet der Bibliothek von Tschernihiv, berühmt für ihre Sammlung von Kinder- und Jugendliteratur, die seit dem 19. Jahrhundert in ukrainischer Sprache verfasst wurde.

Dzevad Karahasan
Dzevad Karahasan © (c) Minoriten

Karahasan liebte es, in seine Romane und Erzählungen originelle Essays, kulturhistorische Traktate, religionsphilosophische Exkurse einzustreuen. Ob es um balkanische Barttrachten, die Wohnküche als Modell des spirituellen Lebens, die dreißig Arten, eine Tür zu öffnen oder eine Phänomenologie der nationalen Denkmäler geht, es gelang ihm spielend, uns für Dinge zu interessieren, die uns vorher völlig gleichgültig waren; der Erzähler und der Essayist halten in allen seinen Büchern eine Zwiesprache, der zu folgen ihre Lektüre so anregend macht.

Im „Buch der Gärten“ grübelt er, wie sich die Vorstellung des Paradieses im Christentum und im Islam - zwei Religionen, die beide in Wüstenregionen entstanden – mit dem Bild des Gartens verbunden hat. Die Gärten und Parkanlagen von Sarajevo, in denen sich kulturelle Strukturen und religiöse Traditionen manifestieren, beschreibt er so präzise und einfallsreich zugleich, dass seinen mäandernden Gedanken auch Leserinnen und Leser folgen werden, zu deren Vorlieben weder das Jäten im eigenen Garten noch das Promenieren im öffentlichen Park gehören.  

Gerne wurde und wird über Karahasan gesagt, er sei ein Grenzgänger zwischen der islamischen und der christlichen Welt, zwischen Orient und Okzident, und das ist auch völlig richtig, zumal wenn man hinzufügt, dass dem Muslim Karahasan das katholische wie das orthodoxe Christentum vertraut und wichtig waren und er immer wieder betont hat, dass Sarajevo ohne das Judentum der aus Spanien geflohenen Sefarden nicht jene Stadt geworden wäre, die er liebte und für ein Modell der Welt selbst hielt. Im „Tagebuch der übersiedlung“ heißt es: „Alles, was in der Welt möglich ist, existiert in Sarajevo...Wie die Kristallkugel einer Wahrsagerin, die alle Geschehnisse enthält, alles, was ein Mensch erleben kann, alle Dinge und alle Erscheinungen der Welt...so enthält Sarajevo alles, was die Welt westlich von Indien konstituiert.“

Alles, was in der Welt möglich ist: das enthält eine Utopie und eine Dystopie, ein Versprechen, aber auch eine Warnung. Was in der Welt an politische Verbrechen, militärischen Schandtaten möglich ist, das hat sich gerade in der Belagerung Sarajevos, im Krieg in Bosnien gezeigt. Karahasan hat dieser Verheißung und diesen Verbrechen sein literarisches Werk gewidmet. An der Schnittstelle der Kulturen aufgewachsen, war er tatsächlich beides zugleich, ein Märchenerzähler, der aus dem Schatz orientalischer Mythen und Legenden schöpft, und ein Intellektueller, der sich am westlichen Skeptizismus geschult hat. Das Gemeinsame beider Sichtweisen auf die eine Welt, die wir haben, entdeckte er paradoxerweise gerade in ihren Unterschieden, und wie er uns davon unterrichtet, das ist, als hätte sich Robert Musil darangemacht, mit hellwachem Verstand von Tausendundeiner Nacht zu erzählen.

Drittens. Von der Liebe und der Freundschaft

In seinem weitgespannten Werk stand Karahasan eine Vielzahl von Genres zu Gebote: der historische Roman, die Gespenster- und Geistergeschichte, Traktat und Parabel, Brief und Tagebuch, der Ideenroman, selbst in das entfernte Gelände des Krimis haben sich einige Wurzeln seines Werks verzweigt. In fast allen Büchern kommt aber der Liebe und der Freundschaft eine besondere Rolle zu.

In „Schahrijars Ring“ sind es vor dem Hintergrund des Kriegs Arzra und Faruk, die so verschieden sind, dass sie einander verfallen müssen. Aber sie finden den Weg nicht, miteinander glücklich zu werden, und so löst Azra die Beziehung und Faruk verlässt Sarajevo und verschwindet im Hinterland des Krieges. Kaum ist der Geliebte weg, beginnt sie sich nach ihm zu sehnen, erst jetzt, da er nicht mehr da ist, begreift sie, wie sehr sie ihn liebt.

In den „Marindvorer Fragmenten“, in denen er berichtet, wie der Krieg in Sarajevo sein Wohnviertel Marindvor erreichte, hält Karahasan ebendiese Veränderung auch an sich selber fest. Eines Tages wird das Haus, in dem er mit seiner Frau Dragana wohnt, beschossen, die Platanen im Hof zerbersten, die Raketen reißen Löcher in die Häuserfront, das Glas der Fenster ist zu Bruch gegangen. Und staunend bemerkt Karahasan: „Bisher habe ich mein Haus wiedererkannt, doch nun sehe ich es; bis jetzt habe ich darin gewohnt, doch nun fühle und liebe ich es; das bedeutet, dass ich mich von ihm verabschiede, das bedeutet, dass es zu meiner Erinnerung wird, weil wir den vollen Wert von allem, dem wir begegnet sind, erst dann erhalten, wenn es aus dieser Welt ins Gedächtnis übersiedelt.“ Man beachte bitte, dass Karahasan „sehen“ und „lieben“ synonym verwendet, fast möchte ich sagen, er wollte uns daran erinnern, dass die Liebe nicht blind macht, wie es die Floskel behauptet, sondern sehend, sie öffnet unsere Augen für die Welt, die Menschen, für alles, was ist und uns genommen werden kann, was wir selbst verlieren, verspielen, zerstören können. Auf meine Frage, wie sich der Untergang seiner Stadt hätte vermeiden lassen, hat Dzevad einmal geantwortet: „Wir alle hätten sie mehr lieben müssen.“

Wie die Liebe ist in Karahasans literarischem Werk und seinem persönlichen Codex der Moral die Freundschaft stetig präsent. In „Nächtlicher Rat“ ist es gerade die Freundschaft, die den Tod überdauert. Der Arzt Simon kehrt in seine Heimatstadt Foča zurück, um seine Melancholie auszukurieren, die in 25 Berliner Jahren von ihm Besitz ergriffen hat, doch dämmert dem arglosen Mann nicht, was wir von der ersten Seite an wissen: dass in seiner Stadt, wie 1942, als die serbischen Tschetniks zahllose Muslime massakrierten, schon bald wieder Massaker verübt werden und ein unfassbar grausam geführter Krieg bevorsteht. Erst nach und nach wird klar, dass der Roman von Enver erzählt wird, dem Jugendfreund Simons, der Sufi-Mönch wurde und, übrigens, tot ist, ermordet vor längerer Zeit. Wenn sich die Gewalttaten wieder häufen, bricht im Bazarkh, jenem Zwischenreich, in dem die Toten wesen, Unruhe aus, sie begehren auf, um die Lebenden auf das Unrecht, die Gewalt, die ihnen widerfuhr, aufmerksam zu machen.

Die Freundschaft zwischen dem Toten und dem Lebenden, zwischen dem ermordeten Mönch und dem Arzt hebt die Grenze des Todes auf. Es ist bemerkenswert, dass Karahasan den muslimischen Opfern im Roman mit Simon einen Serben zur Seite stellt, der am Ende die Verkettung von Mord, Rache, Widerrache, neuem Mord in einer Art von christlicher Selbstopferung aufzubrechen versucht. So blitzt selbst am Ende des düstersten Romans von Karahasan die Utopie auf, dass der ewige Kreislauf der Gewalt durchbrochen werden kann. Alles, was möglich ist! Also ist auch der Friede, die Aussöhnung möglich. Selbst dass die Feindschaft sie schädigt und schwächt, die Freundschaft sie hingegen bereichern kann, könnten die Verfeindeten eines Tages wieder erkennen und erfühlen! 

Karahasan war ein Meister der Abschweifung, nehmen Sie mir daher einen kleinen Schlenkerer nicht übel, er zeigt, was für Dževad das Wesen des Gesprächs bedeutete. 2014 haben die Literaturhäuser des deutschen Sprachraums 28 Autorinnen und Autoren - zu 14 Paaren geordnet - damit beauftragt, einander Briefe zu schreiben, die so genannte „Europäische Korrespondenzen“ ergeben sollten und unter diesem Titel auch gesammelt publiziert wurden. Als eines dieser Paare waren Dzevad und ich ausgewählt worden, und wiewohl wir beide gerade anderes zu tun hatten, machten wir schließlich doch mit, und zwar, wie Dževad in seinem ersten publizierten Brief erklärte, „weil es der Grund unserer guten Kommunikation ist, dass wir meistens nicht miteinander übereinstimmen“. So war er. Diese freilich  verschmitzte Äußerung enthält im Kern sein Weltverständnis: Natürlich kann es schön sein, mit Gleichgesinnten zu parlieren, aber notwendig ist es, mit denen ins Gespräch zu kommen, im Gespräch zu bleiben, mit denen wir nicht und die nicht mit uns einer Meinung sind. (Nebenbei: Hat nicht hier in Wien vor sechzig Jahren ein heute fast vergessener Mann namens Friedrich Heer gar das „Gespräch der Feinde“ gefordert?)

4. Über die Ethik.

Karahasan mutet seinen Leserinnen und Lesern viel zu. In seinem monumentalen Roman „Der Trost des Nachthimmels“ bietet er eine fast nicht zu überblickende Anzahl von Figuren auf, die seitenweise gelehrte Gespräche über theologische, philosophische, ästhetische Fragen führen. Der Roman spielt nach unserer, der christlichen Zeitrechnung im Persien des 11. Jahrhunderts, und der Protagonist ist der geniale Omar Chayyam, der die Blüte und den Untergang des Reichs der Seldschuken erlebt. Er war Hofastronom, Philosoph, Dichter und als Mystiker und Mathematiker nach unserem, späteren Begriff ein Universalgelehrter, der für die Freiheit des Denkens, die geistige Auseinandersetzung gerade auch mit Kritikern der eigenen Religion und Weltanschauung eintrat und, hochgeachtet und misstrauisch belauert, den Glaubenseiferern unterliegen wird. Wie in allen seinen Romanen spiegelt Karahasan das Geschehen auf mehreren Ebenen, sodass sich im Untergang der Seldschuken zugleich die Gegenwart Bosniens abzeichnet und in der bitteren Niederlage Chayyams der Siegeszug eines welt- und menschenfeindlichen Fundamentalismus ankündigt.

Wie Zeichnungen auf durchsichtigem Papier, die übereinander liegen, sodass jede von ihnen auf die anderen durchscheint, ergänzen, relativieren, kommentieren sich die Geschichten, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten spielen. Diese offene, komplexe, außerordentlich anspruchsvolle Form des Romans ist praktizierter literarischer Antifundamentalismus, erfasst sie alle Dinge doch aus verschiedenen Perspektiven. Das verleiht den Gestalten und Geschehnissen eine Vieldeutigkeit, die es auszuhalten, zu ertragen und gegen die Propagandisten der Vereinfachung zu verteidigen gilt. Die schlimmste Kränkung, die ein Autor seiner Leserschaft zufügen kann, dass er sie nämlich unterfordert, hat sich Karahasan wahrlich niemals zuschulden kommen lassen.

Und das hängt mit zweierlei zusammen: mit seinem Respekt vor den Menschen, die es verdienen, nicht für dumm genommen zu werden, und mit seinem Verständnis von Kunst, seinem herrlich unzeitgemäßen – und gerade deswegen so aktuellen - Selbstverständnis als Schriftsteller. In seinem letzten Roman, den er wie im täglichen Kampf gegen seine Krankheit geschrieben und mit bewundernswerter Energie fertiggestellt hat, „Einüben ins Schweben“, wird schon auf der zweiten Seite von Amt und Würde des Schriftstellers gesagt: „Nur die größten können aus den anderen alles herausholen und ihnen dabei helfen, sich zu übertreffen.“ Und im „Tagebuch der Übersiedlung“ hat Karahasan ein für allemal festgehalten: „Eine der Grundfunktionen der Kunst ist, die Menschen vor der Gleichgültigkeit zu schützen, und der Mensch ist am Leben, so lange er nicht gleichgültig ist.“ Beides zusammen ergibt eine Poetik und eine Ethik des Schreibens: Die Literatur darf sich nicht davor scheuen, die Menschen zu fordern, denn nur, indem sie die Vereinfachung als intellektuelles, ästhetisches, moralisches und politisches Grundübel scheut, kann sie diese befähigen, über ihre Ressentiments hinauszuwachsen und der Gleichgültigkeit als Routine der Menschenverachtung zu widerstehen.  

Dževad Karahasan war die Stimme Bosniens, und seine Stimme im Chor der europäischen Literatur ist unverwechselbar. Ich muss hier, wiewohl im Vollbesitz meiner schwachen patriotischen Kräfte, darauf verzichten, über die zahlreichen österreichischen Eigenheiten im europäischen Werk des bosnischen Autors zu sprechen, denn einmal muss auch eine lange Würdigung an ihr Ende kommen. So viel gilt: Dževad Karahasan gebührte jeder Literaturpreis der Welt, aber auch dieser Preis, der nach einem österreichischen Publizisten, Fritz Csoklich, benannt ist und die „Demokratie“ im Namen führt, sitzt ihm wie angegossen.

Wie gerne wäre ich heute im Publikum gesessen, das Dzevad mit einer weit ausholenden und pointierten, mit seiner gedankenreichen und selbstironischen Dankesrede gewiss bezaubert hätte. Im weiten spirituellen Resonanzraum seines Werks und seines Denkens sind die Toten, mit ihren Forderungen, die sie an uns stellen, und mit dem Beistand, den sie uns geben können, stetig präsent. Und so ist es, liebe Dragana, hier und heute auch mit ihm.