Der Literaturnobelpreis wird gerne und zu Recht als "Favoritengrab" bezeichnet, diesmal lagen die Buchmacher aber richtig: Der norwegische Dramatiker, Lyriker und Romancier Jon Fosse stand neben der Chinesin Can Xue heuer ganz oben auf der Liste. Und er erhält den mit rund 930.000 Euro dotierten Literaturnobelpreis 2023. Die Tatsache, dass der 64 Jahre alte Norweger auch einen Wohnsitz in Hainburg an der Donau hat, da seine Gattin aus dem nahen Bratislava stammt, brachte ihm prompt den Titel "Wahlösterreicher" ein.
Doch Fosse ist trotz Wahlheimat verwurzelt im Norden Europas und durchdrungen von metaphysischer Melancholie, die gepaart ist mit zartbitterem Humor. Das Schreiben habe ihn von seinem früheren "vulgärmaterialistischen Denken" abgebracht, sagte er einmal in einem Interview. Auch den Verlust der Mystik, des Glaubens im weitesten Sinn, hat Fosse – der zum Katholizismus konvertierte – stets beklagt. Geehrt und ausgezeichnet wird er jetzt "für seine innovativen Stücke und Prosa, die dem Unsagbaren eine Stimme geben", heißt es in der Begründung der Schwedischen Akademie. Das Unsagbare und die flächendeckende Orientierungslosigkeit des Menschen sind auch zentrale Themen in seinem siebenteiligen Mammutwerk "Der andere Name".
Solitär der sprachlichen Verknappung
Stilistisch ist Fosse ein Solitär, der die sprachliche Verknappung pflegt, die Auslassung, seelenverwandt in seiner oft absurden Düsternis mit Samuel Beckett und Franz Kafka. Und seine Reaktion auf die Verleihung des Nobelpreises? "Ich bin überwältigt", sagte er der schwedischen Zeitung "Svenska Dagbladet".
Logisch, dass Fosse nebst Beckett auch mit seinem Landsmann Henrik Ibsen verglichen wird: Er ist der meistgespielte norwegische Autor der Gegenwart; seine gut 30 Stücke – in über 40 Sprachen übersetzt – waren weltweit bisher in mehr als 1000 Inszenierungen zu sehen. Auch an heimischen Bühnen kam der drakonische Minimalismus seiner Sprachloops in den letzten Jahrzehnten gut an: Mit Stücken wie "Der Name", "Schlaf" und "Todesvariationen" fuhren Burgtheater, Wiener Festwochen, Salzburger Festspiele ebenso Erfolge ein wie in der freien Szene etwa das Grazer Theater Quadrat und – erst letzten Sommer – das Junge Theater Klagenfurt.
Darüber hinaus unterhält der Autor, der etliche Texte Thomas Bernhards ins Norwegische übersetzte, eine besonders enge Verbindung zum Grazer Komponisten Georg Friedrich Haas: Für dessen Opern "Melancholia" sowie "Morgen und Abend" verfasste er die Libretti nach eigenen Werken.