Wie sind Sie zum Musiktheater gekommen?
ULRICH LANZ: Ich habe Oboe und Klavier gespielt und überlegt, ob ich Musiker werden soll. Aber mich hat das Drumherum so interessiert, dass ich Musikwissenschaft studiert habe – das war genau das Richtige für mich, eine Fundgrube, ein Paradies, um Dinge zu entdecken und zu verstehen, wie Musik funktioniert.
Das war in München?
Ja, zuerst in München, später bin ich auch nach Mailand gegangen, weil es mich immer in den Süden gezogen hat. Ich habe auch überlegt, in die Uni-Lehre zu gehen, aber dann dachte ich mir: Für 15 Studenten den Codex H196 aus Montpellier zu analysieren, das ist mir zu elitär. Ich wollte meine Begeisterung an mehr Menschen weitergeben. Deshalb bin ich Dramaturg am Theater geworden. Zuerst in Stuttgart, dann in Linz, dann in Mannheim und Hannover. Dort habe ich mit Regisseur Barrie Kosky zusammengearbeitet, der hat mich dann an die Komische Oper nach Berlin mitgenommen.
Das Nomadische an diesem Beruf hat Sie nie gestört?
Das ist eine Grundbedingung von Theater – immer wieder wechseln und neu beginnen, das ist wichtig, um die Kunst lebendig zu halten. Wir kennen alle die Intendanzen, die 10, 15 Jahre gehen – so gut ein Intendant ist, nach zehn Jahren wird es Routine. Dann wiederholt man die Sachen, die gut funktioniert haben. Ein Haus braucht den Wechsel. Man muss Wurzeln schlagen, aber auch wieder bereit sein, weiterzuziehen.
Sie sagen, Sie sind vom Süden angezogen worden. Warum?
Ich glaube, es ist die Sinnlichkeit. Und Theater spricht im besten Fall alle Sinne an. Ich esse außerdem gerne gut, ich mag guten Wein, und ganz wichtig: die Kommunikation. Ich rede gerne mit Menschen, das macht mir Freude, das finde ich im Süden. In Österreich ist es so einfach, mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Ein kurzes Gespräch am Markt, in der Straßenbahn, das liebe ich. Berlin ist ja auch kommunikativ, aber der Umgangston macht es dort schwieriger (lacht).
Was hat Sie motiviert, sich in Graz zu bewerben?
Ich habe durch Linz eine österreichische Vergangenheit, von Linz ist am meisten an Freundschaften und Kontakten geblieben. Da habe ich Graz auch immer schon wahrgenommen. Es ist ein wunderschönes Haus mit einer spannenden Tradition, es liegt zwar am Rand Mitteleuropas, aber auch in Deutschland wird beobachtet, was hier passiert, wer hier arbeitet.
Die Theatersituation in Graz und Berlin ist komplett verschieden, das Publikum ist anders, die Anforderungsprofil ans Theater sind andere.
Ich habe immer versucht, die Stadt, in der ich arbeite, anzunehmen. Für mich ist es wichtig, auch in Graz zu wohnen. Die Arbeit am Theater ist ein Spagat. Einerseits müssen wir uns regional orientieren, andererseits international denken.
Die Komische Oper in Berlin ist sozusagen das dritte Opernhaus in einer Millionenmetropole, da können Sie auch ein spezielles Segment „bedienen“, in Graz sind sie Alleinversorger für Oper und Ballett.
Genau. Man muss deshalb versuchen, alles abzudecken, so gut es geht. Das schafft man nicht in einer Spielzeit, das muss man saisonübergreifend planen. Wir können dafür mit einem sehr weiten Repertoire arbeiten.
Das sieht man auch an Ihrer ersten Spielzeit, die ja ungewöhnliche, unerwartete Stücke enthält.
Wir haben zwei absolute Klassiker mit „Macbeth“ und „Hoffmanns Erzählungen“, aber wir haben auch Entdeckungen, wir haben Musical und Operette, hier müssen wir gut balancieren. Nur Blockbuster zu spielen, würde unseren Spielraum einengen, da wären wir im 19. Jahrhundert gefangen, dazu ein bisschen Mozart und Richard Strauss. Wir wollen aber den Ausschnitt breiter machen, es gibt so viel in der Oper! Und ich versuche meine eigene Neugier auf mehr als 400 Jahre Operngeschichte auf das Programm zu übertragen.
Also etwa auch Barockoper.
Auf jeden Fall. Die Spezialisierung finde ich heute nicht mehr zwingend, ich glaube, Barockoper ist ein offenes Genre, da kann man viel machen. Es geht weniger ums historisch Korrekte, sondern um das theatral Lebendige.
Sie haben über das Saisonprogramm „Oper, öffne dich!“ geschrieben. Sie meinen, Oper richtet sich an alle. Dabei gilt Oper als das Exklusivste überhaupt.
Das ist ein falsches Klischee, dass Oper elitär ist. Ich werde nicht müde, zu sagen, dass Oper für jeden etwas sein kann. Nicht muss, ich bin ja kein Missionar. Aber viele Leute, die denken, es ist zu langweilig, zu schwierig, zu teuer, wären begeistert, wenn sie in die Oper kommen würden. Ich möchte die Leute dazu bringen, sich von der Oper verzaubern zu lassen.