Eine schier unlösbare Aufgabe. Aber derlei Unmöglichkeiten sind für Emmanuel Carrère bloß ein zusätzlicher Ansporn, sich der Herausforderung zu stellen. Die ist in diesem Fall gigantisch und grauenhaft. Von September 2021 bis Juni 2022 fand in Paris der Prozess gegen die noch am Leben gebliebenen vierzehn IS-Terroristen statt. Sie und weitere sieben Selbstmordattentäter sorgten am 13. November 2015 in der französischen Metropole für infernalische Zustände. Aus dem Datum wurde das Kürzel „V13“. Es steht für „Vendredi treize“ – Freitag, den 13.

Fast zehn Monate lang saß Carrère tagtäglich in der „weißen Kiste“. So wurde der eigens für das Monsterverfahren errichtete Zusatzbau vor dem französischen Justizpalast genannt. Er schrieb in dieser Zeit wöchentlich Kommentare für das Magazin „L’Obs“, die er danach überarbeitete, ergänzte und aktualisierte.

Unfassbares fassbar machen

Für „V13“, eine Gerichtsreportage, die in dieser Intensität und Dichte einzigartig ist, vom ersten bis zum letzten Satz. Kurz die Chronik des Grauens: 130 Menschen wurden bei den Attentaten im Musikclub Bataclan, vor dem Stade de France und auf Bar-Terrassen getötet, rund 700 Menschen zum Teil schwer verletzt. Nicht zählbar all jene, die für immer mit einem Trauma leben müssen.

Lässt sich all der Wahnsinn in einem knappe 270 Seiten umfassenden Buch auch nur ansatzweise rekapitulieren? Ja, das ist möglich. Wenn der Autor Emmanuel Carrère heißt, ausgestattet mit dem präzisen Blick für das Wesentliche, einer präzisen Sprache und dem Vorsatz, Unfassbares fassbarer zu machen. In drei Abschnitten widmet sich der Autor den Geschädigten, den Beschuldigten und dem Gericht. Sein Erzählton ist oft nüchtern, neutral – und doch erzeugt er, vielleicht gerade deshalb, Gänsehaut. „V13“ steht auch für eine Reise, sie führt in die finsterste Nacht.

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Buchtipp: Emmanuel Carrère. V13. Matthes & Seitz,
275 Seiten, 26,50 Euro.