Wenn plötzlich eine avantgardistische Version von Puck um die Ecke gesprungen wäre, man hätte sich nicht gewundert. Zu Beginn gibt es Vogelgeräusche vom Band, dann öffnet sich der Vorhang zu einem Zauberwald aus Pilzen, Moos und Blüten – zu einem Sommernachtstraum auf Björk-Art. Eine Tour zu ihrer Bühnenproduktion "Cornucopia", die die Isländerin stationär bereits im New Yorker "The Shed" gezeigt hat, hat Björk nach unglaublichen 25 Jahren wieder nach Wien geführt. Ein Greatest-Hits-Spektakel, für das es ein Füllhorn an Material gäbe, steht da freilich nicht am Programm. Stattdessen vornehmlich Songs aus dem Album "Utopia" (2017) – wie der Opener "The Gate", mit dem Björk das Tor zu ihrer Welt öffnet, die sich zunächst noch hinter einem mit Projektionen bespielten, semitransparenten Fadenvorhang verbirgt. "And I care for you, care for you", wiederholt Björks unverwechselbare, auch mit 57 Jahren immer noch kindliche und warme, zugleich aber durchdringende Stimme, immer wieder.

Björk in einem extravaganten Kleid von Vivienne Westwood und Andreas Kronthaler
Björk in einem extravaganten Kleid von Vivienne Westwood und Andreas Kronthaler © Santiago Felipe

"I care for you", gerichtet an eine Person, aber auch an die gesamte Menschheit, und einen ganzen Planeten – in "Cornucopia" geht es um die Utopie eines harmonischen Zusammenlebens von Mensch, Natur und Technologie. Musikalisch illustriert wird das Ganze mit einem Querflöten-Ensemble (Viibra aus Island), das zwischendurch auch Tanzeinlagen zeigt, einer Harfe und einem Wunderwerk aus verschiedensten Percussion-Klängen vom Tiroler Manu Delago, der zu einem Song etwa auch im Wasser herumplätschert. Für "Show me Forgiveness" aus dem A-cappella-Album "Medúlla" wechselt Björk in ein kleines rundes Häuschen auf der Bühne – eine Echokammer, die ihre Stimme mit einem entrückten Hall umhüllt. Darauf folgen zumindest zwei alte Hits aus der Zeit der zugänglicheren, noch nicht ganz so avantgardistischen Björk: "Venus as a Boy" und "Isobel" fügen sich mit neuen Arrangements nahtlos ein.

Fast barock anmutend: Björks Band besteht aus dem Flötenensemble Viibra, dazu gibt es Harfe und ungewöhnliche, organische Percussion-Klänge
Fast barock anmutend: Björks Band besteht aus dem Flötenensemble Viibra, dazu gibt es Harfe und ungewöhnliche, organische Percussion-Klänge © Santiago Felipe

Die Show ist ein Gesamtkunstwerk, wie schon Björk selbst eines ist. Auch visuell ist die Vision einer harmonischen Zukunft aufwendigst inszeniert – Hightech-Visuals zeigen sich ständig zu neuen Gebilden verwachsenden Pflanzen, Pilzen und menschlichen Körperteilen, Björk selbst ist in ein üppiges, dunkel- und rosarotes Kleid mit riesigen Puffärmeln (Vivienne Westwood und Andreas Kronthaler) gewandet, ihre Musiker tragen fantasievolle Kostüme von Balmain.

Entrückt und verzückend: Man muss sich schon einlassen auf diese eigentümliche, aber doch einladend wirkende Welt von Björk, die gar nicht immer lieblich ist. Harte Beats dominieren etwa das Medley aus "Fossora" und "Atopos", einer der stärksten Momente im Konzert, bei "Sue Me" klingen Breakbeats durch den Zauberwald. Schon nach 70 Minuten entschwindet Björk mit einem "Dankeschön" von der Bühne: Um das reguläre Set zu beenden, und um vor den Zugaben noch Platz für eine wirklich wichtige Durchsage zu machen. Klimaaktivistin Greta Thunberg – oder besser gesagt ihre 16-jährige Version, denn das Video ist schon etwas älter – erscheint und hält eine mahnende und durchdringende Ansprache über die dringende Notwendigkeit, das System zu ändern.

Für den Zugabenblock erscheint Björk in einem ätherisch anmutenden Kostüm aus weißen Blüten oder Federn (Iris van Herpen), auch die Zugaben bleiben kompromisslos bei der späten Björk, die dem Pop längst entrückt ist. Die letzten drei Songs sind "Mycelia" ("Medúlla"), "Notget" ("Vulnicura") und dazwischen "Future Forever", in dem Björk davon singt, neue Nester zu formen und eine matriarchale Kuppel zu formen. Als Refrain, wenn man dazu noch so sagen kann, der Schlüsselsatz des Abends: "Imagine a future and be in it". Am Ende zwitschern noch einmal die Vögel vom Band und begleiten die Menschen hinaus. Zurück in den Großstadtdschungel oder auf die Autobahn.