Schon 2018 hat Gottfried Helnwein mit einem Sujet zu Krieg und Gewalt im Zuge der jährlichen künstlerischen Fassadenbespielung des Wiener Ringturms für Gesprächsstoff gesorgt. Nun wurde der österreichische Starmaler noch einmal eingeladen, das Gebäude außertourlich zu verhüllen. Und auch diesmal spielt Gewalterfahrung eine Rolle. Helnweins Werk "My Sister", das in den nächsten Tagen auf 3.000 Quadratmetern affichiert wird, zeigt das blutverschmierte Gesicht eines Mädchens.
Das Motiv, das an zwei Fronten des Ringturms bis Ende Oktober zu sehen sein wird, ist im für Helnwein typischen Hyperrealismus gehalten und insofern nichts für schwache Nerven. "Die Kunst hat viele Aufgaben, eine davon ist es, sich mit Gewalt auseinanderzusetzen. Es gibt eine lange Tradition in der Kunst, die die Menschen dazu zwingt, sich damit zu beschäftigen, meistens jedoch vergeblich, weil verständlicherweise vieles verdrängt wird. Aber die Verdrängung hat die Gefahr, dass sich die Geschichte immer wiederholen muss", wurde der Künstler, der am 8. Oktober seinen 75. Geburtstag feiert, am Montag in einer Aussendung des Wiener Städtischen Versicherungsvereins zitiert.
Dessen Vorstandsvorsitzender, Robert Lasshofer, meinte, dass kaum ein Künstler der Gegenwart besser dafür geeignet sei als Helnwein, Gewalt "auf so eindringliche Weise" zu thematisieren. "Mit diesem Kunstwerk ist ein starkes Zeichen verbunden: Gewalt - ob physischer, psychischer oder virtueller Natur - darf niemals toleriert werden. Die Zivilgesellschaft ist dazu aufgerufen, eindeutig Stellung zu beziehen."
Unter dem gleichen Titel "My Sister" war ein fast identes Sujet eines blutverschmierten Mädchenkopfes schon im Dezember des Vorjahres an der Fassade des Wiener Stephansdom zu sehen. Der Künstler hatte damals auf Gewalt gegen Frauen in Ländern wie Iran oder Afghanistan verwiesen.
Die jetzige Ringturm-Sonderverhüllung ist Teil einer Anti-Gewalt-Kampagne des Wiener Städtischen Versicherungsvereins. Zu dieser gehört auch eine Gratis-Ausstellung im Ringturm, die sich ab 9. Oktober mit den Schwerpunkten situative und häusliche Gewalt, der Rolle der Kunst sowie "safe public spaces" auseinandersetzt. Begleitend zur Schau ist eine Diskussionsreihe mit Expertinnen und Experten angesetzt, an der ebenfalls bei freiem Eintritt teilgenommen werden kann.