"Wer hat hier schlechte Laune?" lautet der Titel der bereits im Vorjahr erschienen Aufnahme, in der Raabe von der Naturidylle ("Der Sommer") über den wuchtigen "Babylon Berlin"-Opener "Ein Tag wie Gold" bis zu melancholischen Nummern wie "Es wird wieder gut" lustwandelt.
Es handelt sich dabei durchgängig um neue, eigene Nummern des Musikers, der seit 1986 mit dem Palast Orchester um die Welt tourt und der Musik der 1920er und 30er-Jahre zu neuer Blüte verholfen hat. Komponiert hat Raabe die neuen Songs in der ihm eigenen Janusköpfigkeit aus purer Romantik und Selbstironie wieder mit einem Team, zu dem unter anderen Erfolgsproduzentin Annette Humpe (DÖF, Ich + Ich) und der einstige Rosenstolz-Sänger Peter Plate gehören.
Aus diesem Anlass sprach der 60-Jährige mit der APA über den Tanz auf dem Vulkan, Rocker im Publikum und die Frage, wie sehr sein Ich-Erzähler mit seinem Ich zusammenhängt.
APA: Eigentlich ist Ihre neue Platte ja schon vergangenes Jahr erschienen, die Themen wirken aber hochaktuell. Wie wichtig ist Ihnen, gleichsam am Puls der Zeit zu sein?
Max Raabe: Die Nummern waren teils schon eineinhalb Jahre alt, bevor wir sie überhaupt jemandem vorgestellt haben. Und auch wenn es Titel gibt wie "Es wird wieder gut" oder "Wer hat hier schlechte Laune?", hat das nichts damit zu tun, was aktuell in den Nachrichten zu sehen ist. Das sind zeitlose Themen. Die Sachen sind in diesem Sinne nie hochbrandaktuell, auch wenn das Wort "Strom" vielleicht mal an einer Stelle fällt. Auch den gibt es ja schon länger.
APA: Sie sind durch Ihre Wiederentdeckung der Weimarer Musik bekannt geworden. Empfinden Sie hier eine Parallele in der Zeit zu "Wer hat hier schlechte Laune?" im Sinne eines Tanzes auf dem Vulkan?
Raabe: Ich hoffe nicht, dass der Vulkan ausbricht. Alle Stücke haben eher was mit den zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun. Es geht nicht um die große Politik, wenn ich sage "Es wird wieder gut".
APA: Empfinden Sie "Wer hat hier schlechte Laune?" als Rückkehr zu Ihren Wurzeln? Zumindest sind die Popeinflüsse der vorherigen Platten weniger zu spüren...
Raabe: Die finden Sie hier nicht? Das ist interessant, weil manche die neue Platte als wilder empfinden im Vergleich zu den Vorläufern. Andere sagen: "Jetzt ist die so melancholisch geworden." Und wieder anderen bescheinigen mir: "Toll, dass du in dieser schweren Zeit so viel Optimismus ausstrahlst." Dass sich jeder das herausnehmen kann, was er möchte, das finde ich ehrlich gesagt gut.
APA: Hat sich durch das Ausgreifen in den Pop Ihre Publikumsstruktur nachhaltig verändert?
Raabe: Durch die neuen Alben hat sich das Publikum wahnsinnig verändert. Wir haben manchmal Kinder in den Konzerten, die sich eine Fliege umbinden. Schlechte Laune kann die Oma haben und das Kind. Manchmal haben wir vier Rocker in der ersten Reihe. Interessant. Die Mischung finde ich toll.
APA: Wie sehr sind Ihre Platten Konzeptalben, von Beginn bis Ende mit dramaturgischem Bogen gedacht?
Raabe: Diese Stücke entstehen ja nicht binnen einen Monats, indem man sie hintereinander weghaut, sondern über lange Zeit. Sie greifen einfach auf, wie es einem gerade geht und wie man so tickt. Dieser dramaturgische Anspruch geht immer nur Stück für Stück. Ich möchte eine Nummer machen, die in sich schlüssig und schön ist. Wenn sie gut ist, wird sie genommen. Und wenn sie einem nach einem Monat nicht mehr gefällt, schmeißt man sie weg. Mein Anspruch ist gar nicht, ein in sich komplett stimmiges Album zu gestalten.
APA: Liegt das auch daran, dass "Wer hat hier schlechte Laune?" wieder in Zusammenarbeit mit einem großen Team entstanden ist? Oder sind Sie hier Primus inter Pares?
Raabe: Das ist nicht mein Ding. Ich bin wirklich Teil eines Teams, auch wenn meine Rolle auf der Bühne eine andere ist. Aber auf der Tour und im Studio muss man sich zuhören und darf sich nicht aufspielen. Ich habe natürlich schon eine Haltung, gerade was die Texte betrifft, aber irgendwann muss ich auch sagen: Halte die Füße still, wenn jemand, der Ahnung von Popmusik hat, diesen oder jenen Vorschlag macht.
APA: In Ihren Lieder sprechen Sie eigentlich immer aus der Perspektive des Ich-Erzählers. Wie literarisch ist der, wie autobiografisch?
Raabe: Es ist garantiert nicht autobiografisch. Aber ich kann natürlich auch nicht von Dingen erzählen, die nicht zu mir passen. Das bin schon ich, aber ich habe nicht die Intention, den Leuten meine Sicht auf die Welt zu erklären. Indirekt tue ich es aber natürlich.
APA: Was ist der Inspirationsmoment für Sie, ein Gedicht sprich einen Text als Ausgang für ein Lied zu nehmen?
Raabe: Es sind oftmals nur einzelne Zeilen, die irgendwo fallen. Manchmal hat man nur ein Wort, zum Beispiel, dass ich im Gespräch zu jemandem sage, dass ich eine Brunch-Allergie habe, weil ich keine Lust habe, schon um 12 Uhr morgens mit Leuten zu reden, da bin ich noch zu muffig. Daraus ist dann die Idee entstanden, ein Stück über zwei Charaktere zu schreiben - den Frühaufsteher und den Spätaufsteher. Das war aber ein intellektuelles Geschraube und versandete. Aber irgendwie landete die Geschichte dann in der Bahn, und auf einmal hat eines das andere ergeben. Übriggeblieben ist nur das Wort "Brunch-Allergie". Woher kommen die ganzen Ideen? Sind die schon da? Hat man sie geklaut, ohne es zu wissen? Oder hat es mir jemand eingeflüstert aus dem Universum?
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)
(S E R V I C E - Max Raabe und das Palast Orchester mit "Wer hat hier schlechte Laune?" am 14. und 15. September in der Wiener Stadthalle F. In den Folgetagen ist das Linzer Musiktheater an der Reihe, am 18. September die Grazer Stadthalle, und am 5. Dezember komplettiert Bregenz den Österreichteil der Tournee. )