Wolfgang Bauer (1941–2005) gehört(e) zur Literaturhauptstadt Graz wie der Uhrturm und die Haring-Weinstube. Nicht nur seine Werke, sondern auch er selbst: der Mensch, die Erscheinung, der Leitwolf der frühen Jahre; als die Worte an der Mur laufen lernten. Und brüllen! Mit längst ikonischen Stücken wie "Magic Afternoon" (1968) und "Change" (1969) zwickte Bauer die Stadt aus dem Dornröschenschlaf.
Doch schon zu Beginn der 60er-Jahre war Bauer äußerst produktiv und schärfte sein Wortmesser an Stücken, die in der Tradition des absurden Theaters standen. Von Mythen umrankt ist das 1962 entstandene Stück "Der Rüssel". Es war jahrzehntelang verschollen, war Gegenstand einer abenteuerlichen Schnitzeljagd und wurde erst 2018 am Wiener Akademietheater posthum uraufgeführt.
Der Literaturwissenschaftler Thomas Antonic, der auch das umfassende Nachwort in der vorliegenden Ausgabe verfasst hat, merkt an, dass das Stück "aufgrund seiner bemerkenswerten Qualität keinesfalls als Jugendwerk" bezeichnet werden kann. "Rüssel"-Schauplatz ist die Stube einer Bauernfamilie in einem Alpendorf, das zunehmend "afrikanisiert" wird und dadurch Touristen, Presse und die Dattelindustrie anlocken soll. Klingt absurd. Und sehr heutig.
Buchtipp: Wolfgang Bauer. Der Rüssel. Ritter, 288 Seiten, 27 Euro.