Man kann Elina Garanča nicht vorwerfen, dass sie die landläufigen Carmen-Klischees bedient. Die heißblütige Spanierin braucht man da nicht erwarten: Ihre Carmen ist weniger eine von Trieben und Launen gesteuerte Femme fatale, sondern eine Frau, deren ostentativ zur Schau gestellte Souveränität wohl auch ihre mädchenhafte Unsicherheit kaschieren soll.
Die Diskrepanz von Garančas Interpretation führt zur faszinierenden Doppelbödigkeit. Auf der einen Seite steht die totale vokale Beherrschung der Partie, eine ebenmäßige Luxusstimme, die in der Tiefe eine Farbe und Resonanz hat, die ihresgleichen sucht und die mit sinnlichen Tönen betört. Auf der anderen Seite scheint die Sängerin mit der Rolle zu fremdeln und die Sinnlichkeit der Figur wie aufgesetzt. Die "Habanera" erscheint als erotische Etüde, der "Seguidilla" fehlt das Neckische und wird dafür mit einer Bestimmtheit ausgeführt, die Don José keine Wahl lässt.
Oft wurde die "Distanziertheit" von Garančas Carmen beschrieben, mindestens ebenso häufig ihre enorme "Erotik". Das ist widersprüchlich, aber auch korrekt für eine unstete Carmen, die mit sich selbst im Unklaren ist, geprägt und wohl auch gedemütigt von den Projektionen der sie umgebenden männlichen Welt. Eine, die die Verführerin im Wortsinn nur "spielt". Um einen Platz in der Welt zu finden, vielleicht um Erwartungen zu erfüllen, nur um sie im nächsten Moment wieder zu enttäuschen.