Flußschiffahrt, spazierengehen, dabeisein. Falls Ihnen solche Worte unterkommen, hat wohl jemand die "neue Rechtschreibung" nicht intus. Vor 25 Jahren, am 1. August 1998, trat die Rechtschreibreform in Kraft und änderte einiges: Das "ß" wurde zugunsten des "ss" seltener, das "f" verdrängte das "ph", manches Kleingeschriebene wurde plötzlich groß und einige zusammengesetzte Wörter schrieb man nun getrennt. Dazu änderte sich die Kommasetzung. Die Idee zur Reform reichte bis in die 1980er-Jahre zurück. Der Grund war recht einfach: Modernisierung, also eine Anpassung an die Sprachrealität, mehr Systematik und damit eine Vereinfachung.
Kulturkampf
Die Einführung entfachte damals Debatten, die sich zum veritablen Kulturkampf steigerten. Wissenschaftler und Schriftsteller riefen in der "Frankfurter Erklärung" zum Reform-Stopp auf, es kam zu Volksentscheiden, Verlage legten sich quer und tatsächlich beruhigte sich die Debatte nach der Einführung nicht: Bis 2006 dokterte man an der Reform herum, Regeln wurden gelockert, revidiert usw. Heute gibt es eine Koexistenz von Schreibweisen, deren Unterschiedlichkeit viele gar nicht mehr wahrnehmen dürften.
Praktikerinnen und Praktiker (siehe rechts) sehen die Sache 25 Jahre später gelassen und betonen, dass ein pragmatischer Zugang zur Orthografie sinnvoll sei. Andere Experten sehen die Sache im Rückspiegel aber kritisch: Rudolf Muhr, Grazer Germanist und Obmann der Gesellschaft für Österreichisches Deutsch: "Das war ein vollkommener Schlag ins Wasser." Bis auf Kleinigkeiten, die in Einzelfällen mehr Klarheit gebracht hätten, sei das Ganze schlecht gelaufen. Einer der Gründe laut Muhr: "Man darf den Germanisten nicht die deutsche Sprache überlassen, sondern dem gesunden Hausverstand." Muhr ist der Ansicht, dass eine gewisse Normierung der Schriftsprache zwar notwendig ist, aber durch die Rechtschreibreform – und die spätere Reform der Reform – sei es nicht zur Bereinigung von Unsicherheiten gekommen, sondern zur Überreglementierung. Die Sprache sei dadurch in ein Korsett gesteckt worden. "Aber Sprache braucht Freiheit, um sich entwickeln zu können. Und wenn sie ständig an Normen stößt, kann diese Entwicklung nicht erfolgen." Auch Expertinnen und Experten in Deutschland kritisieren, dass die Reform sich zu wenig an der Praxis und zu sehr an der inneren Logik der Sprachwissenschaft orientiert hätte.
Geändert hat sich nach der Reform auch die organisatorische Ebene: Der Rat für deutsche Rechtschreibung wurde eingerichtet. Das 41-köpfige Gremium gibt Empfehlungen und soll durch seine Besetzung die Interessen ausgleichen – dort sitzen Vertreter aus Wissenschaft, Bildung und Journalismus. Dass der Rat bei aktuellen Themen zurückhaltend agiert, zeigte sich an der Gender-Debatte, wo er keine Empfehlung für Doppelpunkt oder Binnen-I erteilt.
Ob das Niveau der Rechtschreibung sinkt? Muhr sieht es anders: "Diese Suderei höre ich ständig! Aber da sind die Lehrenden gefordert. Man müsste bereits in den Kindergärten mit einem systemischen, spielerischen Sprachunterricht beginnen. Aber da mangelt es natürlich wieder an Personal."