Charmanter Gentleman-Gauner

Nur kein langweiliges Leben!“ Das nimmt sich Victor Lustig schon als Bub vor. Und er löst sein sich selbst gegebenes Versprechen auch ein, wie die vergnügliche, gar nicht langweilige Lektüre des vierten Romans des Vorarlbergers Bastian Kresser zeigt.

Obwohl von Anfang an nicht klar ist, welche der Fakten und Geschichten wahr sind und welche nicht. „Glauben Sie mir kein Wort“, warnt der gewitzte Autor seine Leser schon zu Beginn, und auch sein Ich-Erzähler Victor, eine historische Figur, die 1947 im Gefängnis von Alcatraz starb, verunsichert laufend sein Publikum: „Das stimmt alles nicht. Ich habe Ihnen die Wahrheit versprochen und die Wahrheit ist, ...“

Bastian Kresser. Als mir die Welt gehörte. Braumüller Verlag, 368 Seiten, 27 Euro.
Bastian Kresser. Als mir die Welt gehörte. Braumüller Verlag, 368 Seiten, 27 Euro. © KK

In Rückblicken schildert er, wie er es vom Taschendieb zum Trickbetrüger, vom Geldfälscher zum Hochstapler gebracht hat, mehr als 150 falsche Identitäten angenommen und sogar Al Capone übers Ohr gehaut hat. Das Gespräch mit ihm bildet die Rahmenhandlung. Ob der legendäre Gangsterboss seinem charmanten Mithäftling die Geschichte vom Verkauf des Eiffelturms an einen Schrotthändler geglaubt hat, bleibt allerdings zu bezweifeln. (Von Karin Waldner-Petutschnig)

Wenn der Autor selbst ermittelt

Dass Anthony Horowitz keine Berührungsängste hat, hat er mehrfach bewiesen: Neben seiner erfolgreichen Agentenserie rund um den 14-jährige Alex Rider hat der britische Bestseller-Autor auch James- Bond- und Sherlock-Holmes-Romane vorgelegt.

Mit seiner neuen Reihe rund den eher unzugänglichen Ex-Polizisten und Privatdetektiv Daniel Hawthorne treibt er es aber auf die ironische, höchst vergnügliche Spitze: Da schreibt er sich nämlich selbst als Assistent, Stichwortgeber und Chronist an die Seite des fiktiven Ermittlers. Im dritten gemeinsamen Fall „Wenn Worte töten“, der auch ohne Vorkenntnisse gelesen werden kann, wird das Duo zu einem Literaturfestival eingeladen – unter anderem nebst einem Fernsehkoch, einer französischen Dichterin und einem blinden Medium. Eine bunter Haufen und ein herrliches Sammelsurium an verdächtigen Personen, denn – eh klar – es passiert ein Mord. Ein souverän erzählter und mit britischem Humor gewürzter Whodunit, in dem sich Horowitz auch gerne augenzwinkernd über sich selbst als Autor und seine Fähigkeiten als Kriminalist lustig macht. (Von Marianne Fischer)

Anthony Horowitz. Wenn Worte töten. Insel Verlag, 333 Seiten, 25,50 Euro.
Anthony Horowitz. Wenn Worte töten. Insel Verlag, 333 Seiten, 25,50 Euro. © KK

Wetterleuchten der Emotionen

„Der Pole“ von J. M. Coetzee ist eine wunderbare Mischung aus Liebesgeschichte und Künstlernovelle, zu der Dante und Chopin markante Töne beisteuern.

Herantasten – das ist wohl der passende Begriff, um der eigentlich unfassbaren Erzählweise einigermaßen gerecht zu werden. Obwohl das Handlungsgerüst durchaus den Eindruck einer simplen Konstruktion erwecken könnte. Ein siebzigjähriger Pianist, der wegen seiner asketischen, völlig kitschbefreiten Chopin-Interpretationen international aufhorchen lässt, gibt ein Konzert in Barcelona. Das Publikum reagiert zurückhaltend, irritiert, ein wenig enttäuscht.

Auch eine Bankiersgattin, Mitglied eines Kunstvereins, zeigt sich wenig angetan von den Darbietungen. Aber ihr fällt die Aufgabe zu, den Künstler nach dessen Auftritt noch einige Zeit als Gastgeberin zu betreuen. Spröd, emotionslos und unbeholfen erscheint ihr der angebliche Virtuose, der sie an einen eitlen Clown erinnert.

Aber der Erzähler der Geschichte heißt J. M. Coetzee (83), er bekam vor 20 Jahren den Literaturnobelpreis, und zu einem seiner Markenzeichen zählt es, dass er raffiniert mit den Erwartungshaltungen seiner Leserschaft spielt. Nur knappe 140 Seiten umfasst sein jüngstes Werk, „Der Pole“, rigoros verdichtet und doch mit großem Nachhall versehen. Poetische Schwingungslehre, auf höchstem Niveau.

Der südafrikanische Autor, der seit etlichen Jahren in Australien lebt, scheint seiner Geschichte einer unmöglichen Liebschaft zu Beginn selbst nicht zu trauen. Aus einer Vielzahl knapper Episoden besteht diese faszinierende Mixtur aus Künstlernovelle und fast altmodischer Liebesromanze. Die Episode eins umfasst einen einzigen Satz: „Zuerst bereitet die Frau ihm Schwierigkeiten und bald danach auch der Mann“.
In der Tat erweckt Coetzee zumindest auf den ersten Seiten den Eindruck, das anscheinend unberechenbare Treiben seiner Figuren würde auch ihn selbst überraschen, mehr noch: Rätsel aufgeben, die er erst einmal lösen muss.

Bald nach dem Konzert gesteht Witold, der Pianist, der wie Chopin aus Polen stammt, seiner fast 20 Jahre jüngeren Begleiterin, dass sie die Liebe seines Lebens ist. Die Spanierin heißt Beatriz. Spätestens durch dieses Geständnis wird klar, dass aus dem Hintergrund auch Dante herzlich und innig grüßen lässt. Mit einem Unterschied: Die von Dante angebetete Beatrice blieb für immer schweigsam und stumm.
„Der Pole“ ist eine berührende, durch etliche Sprachbarrieren oft tragikomische Geschichte über das Wetterleuchten der Emotionen, über das jähe Wechselspiel zwischen Ab- und Zuneigung, über Mitleid, Passion und den Tod, über unbewusste Sehnsüchte, meisterhaft komponiert. Herzkammermusik eben. (Von Werner Krause)

J. M. Coetzee. Der Pole. S. Fischer, 144 Seiten, 20,95 Euro.