Der Ischias muss warten. Die Tourdaten des 83-Jährigen lassen nämlich keine Zeit dafür. Obwohl ihn der Ischias reichlich plage, wie er zuletzt auf der Bühne selbst erzählt hat.
Heute Abend gastiert Sir Tom Jones in St. Pölten, am Dienstag in der Alten Oper in Frankfurt am Main und auch danach steht er bis 6. August fast jeden zweiten Tag auf einer anderen Bühne in einem anderen Land in Europa, von Budapest bis Cardiff.
Auch wenn er seine aktuelle "Ages & Stages"-Tour mit "I'm Growing Old" beginnt und auffällig langsam auf die Bühne geht: Tom Jones lässt sich von Jahresringen offenbar nicht beeindrucken. Selbst wenn er in der jüngeren Vergangenheit gleich zweimal an der Hüfte operiert werden musste. "Papa hat jetzt zwei neue Hüften", richtete er im Vorjahr via Instagram aus.
Seit mehr als fünf Jahrzehnten steht der gebürtige Waliser auf der Bühne. "Eine naturgewaltige Stimme, männliche Ausstrahlung, eine duldsame Ehefrau und eine starke Leber: Das ist wohl das Erfolgsrezept von Tom Jones", schrieb die "Süddeutsche" einmal. Er war allerdings schon weit über 70, als er die besten Kritiken seiner Karriere bekam, für die Alben "Long Lost Suitcase", "Spirit in the Room" und "Praise & Blame".
"Ich habe nie Drogen genommen oder andere Sachen", erzählte er in einem Interview mit "t-online", "Ich habe viele Freunde an dem Zeug sterben sehen. Jimi Hendrix war ein guter Freund. Oder Janis Joplin. Oder Elvis. Das alles hat mir gezeigt, dass ich im Leben vorsichtig sein muss." So kann er sich tatsächlich bis heute auf Körper und Stimme verlassen.
Auf seinem jüngsten Album "Surrounded by Time" fehlt der Bombast früherer Tage, die Stimme sinkt in dunkelste Tiefen, Jones flüstert und haucht. "Die schleppenden Tempi und die tiefen Gesangslagen erinnern stellenweise gar an späte Aufnahmen von Leonard Cohen", urteilte der "Rolling Stone".
Tom Jones hielt sich gern abseits des Wegs des selbstzerstörerischen Rockstars. Der Mann, der sich mit den Höschen, die ihm auf die Bühne geworfen wurde, zwar gern das Gesicht abwischte, war 59 Jahre lang mit seiner Linda verheiratet. Bis zu ihrem Krebstod im Jahr 2016. Als 16-Jähriger hatte er sie geheiratet, Sohn Mark kam ein Jahr später zur Welt. Um die Familie zu ernähren, arbeitete Thomas John Woodward, wie er damals noch hieß, als Hilfsarbeiter und Staubsaugervertreter.
Abends tingelte er als Clubsänger unter dem Pseudonym "Tiger Tom" durch Wales und später durch London, wo er schließlich entdeckt wurde und einen Plattenvertrag bekam. Was darauf folgte, ist Rockgeschichte: "What's new Pussycat?", "Delilah", "Thunderball", "She's a Lady" ... In den 1970er-Jahren übersiedelte er in die USA, und es wurde stiller um ihn, er war zwar gut gebucht in Las Vegas, aus den Hitparaden verschwand er, am Ende verlor er seinen Plattenvertrag.
Erst als sich Tom Jones' Sohn Mark um das Management kümmerte, kam der Erfolg zurück. 1988 landete er mit seiner Coverversion des Prince-Klassikers "Kiss" einen Tophit, trat bei Benefizkonzerten im Wembley-Stadion gemeinsam mit Paul Simon, Whitney Houston und Sinéad O'Connor auf, moderierte die MTV Europe Music Awards und nahm ein Album mit Zucchero aus Italien, Natalie Imbruglia aus Australien, Robbie Williams aus England und Mousse T. aus Deutschland auf.
Der deutsch-türkische Musikproduzent, der eigentlich Mustafa Gündogdu heißt, schrieb für Tom Jones "Sex Bomb". Der Song wurde weltweit ein Hit, Tom Jones hatte einen neuen Karriereboost.
Aufhorchen ließ er zuletzt im Zuge der #MeToo-Debatten, als er der BBC erklärte, dass auch in der Musikbranche sexuelle Belästigung und Missbrauch weit verbreitet sei. Er selbst sei zu Beginn seiner Karriere sexuell genötigt worden. "Was bei Frauen versucht wird, wird auch bei Männern versucht", sagte Jones dem Sender.
Wenig Verständnis hat Tom Jones dennoch für das Verbot seines Songs "Delilah": Der walisische Verband verbot heuer im Februar die inoffizielle Rugbyhymne wegen Gewaltverherrlichung. Seit Jahrzehnten wurde "Delilah" vor den Spielen der Nationalmannschaft gesungen, damit ist Schluss. Jüngst wurde auch Musikerkollege Nick Cave, der mit Tom Jones auch schon im Duett sang, gefragt, was er davon halte, dass "Delilah" nun verboten sei: "Ich wünschte, es wäre ein würdigerer Song, dem diese größte aller Ehren, nämlich verboten zu werden, zuteilwürde."