Man kann diskutieren, ob ein weiterer Film über Sisi wirklich notwendig war. Der Kult, der in den 1950ern in der Ernst-Marischka-Trilogie mit Romy Schneider kumulierte, existiert schon lange. Doch in den letzten zwei Jahren war Sisi überall: in Marie Kreutzers vielfach ausgezeichnetem Drama "Corsage" mit Vicky Krieps, in der TV-Serie "Sisi" auf RTL, oder der Netflixserie "Die Kaiserin".
Regisseurin Frauke Finsterwalders "Sisi & Ich" verweigert sich den altbekannten Mustern. Sie erzählt weder von der frühen Romanze mit Franz Josef noch von Sisis Schwierigkeit, sich am Hof in Wien einzufügen. Vielmehr wirft sie einen Blick auf die späten Jahre der Kaiserin, die sie auf Korfu in Isolation verbracht hat. Zudem ist die Perspektive nicht die der Kaiserin, sondern jene ihrer Hofdame Irma Gräfin Sztáray de Sztára et Nagymihály. Sandra Hüller spielt die Hofdame mit einer brillant patzig-naiven Art, die als Blitzableiter für Susanne Wolffs stets stoische oder emotional gepeinigte Sisi funktioniert.
Der Film deckt die lächerlichen Hofrituale, den Narzissmus sowie die Machtspiele des Adels auf. Es gäbe nur Ehe oder Kloster für sie, erklärt Irmas Mutter zu Beginn des Films. Stattdessen wird Irma aber nach Wien kutschiert, um die alte Hofdame der Kaiserin zu ersetzen. Dort wird gleich einmal Hüftumfang, Zustand von Kleidung und Gebiss überprüft. Das Gewicht passe noch nicht, aber "das wird schon" flüstert ihre Vorgängerin ihr zu.
In Korfu, wo Sisi in einer "Kommune" mit Bediensteten residiert, offenbart sich Irma und dem Zuseher eine Frau, die sowohl das Opfer des Hofzeremoniells ist, aber auch eine, die ihre Privilegien lebt. Man nimmt Drogen, trinkt, erforscht queere sexuelle Gelüste und manipuliert die Angestellten. Mitzuhalten ist da nicht einfach. Sisi schläft nicht nur nie, sie geht auch liebend gerne auf lange Wanderungen, versetzt ihren Tee mit Laxativen und isst Brühe, um schlank zu bleiben.
Und dennoch fasziniert diese Kaiserin: In ihrer Gesellschaft zu sein, so drückt es Irma aus, sei so, als würde "das Licht der Welt auf einen scheinen". Die gegenseitige Abhängigkeit und die Manipulation erdrückt die Frauen, beflügelt sie aber auch. Der Humor des Drehbuchs wird durch den frechen Soundtrack und die anachronistisch modern wirkenden Kostüme passend ergänzt, verleiht dem Ganzen eine Zeitlosigkeit, ohne bewusst durch die Linse der Moderne zurückzublicken.
Finsterwalder weigert sich, aus Sisi das süße Mädel der Marischka-Filme zu machen. Aber ebenso wenig stilisiert sie die Kaiserin zu einer feministischen Ikone, wie es gerade beliebt ist. Diese Entscheidung tut der oft überstrapazierten Figur gut und befreit sie von der leeren Projektionsfläche, die sie über die letzten Jahrzehnte geworden ist.
Bewertung: ****
Susanne Gottlieb