Sie haben sich noch einmal aufgerafft. 43 Jahre nach der Bandgründung, sechs Jahre nach dem letzten Werk "Spirit" und ein knappes Jahr nach dem Tod von Keyboarder Andrew Fletcher veröffentlicht Depeche Mode – nun nur noch bestehend aus Dave Gahan (60) und Martin Gore (61) – das neue Album "Memento Mori". Ende März dann brechen sie zur Welttournee auf, die sie auch nach Österreich führt.
Dave, Martin, sind Sie bereit für ein neues Depeche-Mode-Abenteuer?
MARTIN GORE: Ich habe tatsächlich ein bisschen gebraucht, bis ich mich wieder an den ungewohnten Stress gewöhnt hatte, aber jetzt geht es allmählich ganz gut. Die letzten zweieinhalb Jahre gab es sehr wenig Bewegung und sehr viel Stillstand, das steckt mir noch in den Knochen – wörtlich und im übertragenen Sinne. Die Welt erscheint mir gerade noch wie ein großer, furchteinflößender Ort.
DAVE GAHAN: Wenn du wieder als Depeche Mode in Erscheinung trittst, musst du vorbereitet sein, körperlich und mental. Ich habe schon Mitte 2022 angefangen, jeden Tag zu singen und meine Übungen zu machen. Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, ich lerne meinen Körper gerade ganz neu kennen.
Dave, Sie hatten angeblich zunächst gar keine große Lust auf ein neues Depeche-Mode-Album.
Gahan: Das ist richtig. Ich fühlte mich ganz wohl mit meinem Leben und meinem vergleichsweise kleinen "Imposter"-Soloalbum 2021. Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich ein weiteres Album, eine weitere Tour in mir spürte. Ich hatte einen Hänger, was Depeche betraf. Glücklicherweise verflogen meine Bedenken nach und nach. Vor allem, nachdem ich Martins Songs gehört hatte und auch mir selbst wieder mit "Speak To Me" und "Before We Drown" ein paar gute Nummern eingefallen waren.
Es gibt mit "Wagging Tongue" sogar einen gemeinsamen Gore-Gahan-Song auf "Memento Mori".
Gahan: Genau, der allererste von uns beiden, der es je auf ein Album geschafft hat. Ich fühlte schon früh, dass wir hier richtig gut den Ton getroffen haben.
Gore: Die Melodie ist exzellent, und der ganze Song hat etwas Berauschendes. Er ist positiv, er ist Pop, aber er ist auch nicht zu sehr Pop.
"Memento Mori" klingt spritzig, kraftvoll und sehr vital. Spielt Ihr Alter überhaupt eine Rolle?
Gore: Auch wir können uns nicht davor drücken, dass wir tatsächlich älter geworden sind. Das ist ein Fakt. Mich hat es ein bisschen umgehauen, als ich 60 wurde. Für mich war das ein großer Wendepunkt. Und ein komischer Moment. Denn körperlich, mental und getrieben von meiner Liebe zur Musik fühle ich mich immer noch wie ein Jugendlicher.
Dave, Sie sind ein Jahr jünger als Martin und vergangenen Mai 60 geworden. War das für Sie auch so hart?
Gahan: Nein, überhaupt nicht. Mit 60 hast du deinen Frieden mit vielen Aspekten des Lebens gemacht. Du beginnst dich ein bisschen lockerer zu machen. Wir haben es ja sowieso nicht in der Hand, und vor dem Alter können wir nicht fliehen.
Ist das nicht auch die Botschaft des Albumtitels? "Memento Mori" heißt schließlich "Bedenke, dass du sterben musst".
Gahan: Absolut. Das Leben ist endlich. Und es wird – nach allem, was wir wissen – auch kein weiteres mehr geben. Also sind wir auf der Welt, um dieses eine Leben zu genießen. Martin und ich haben mehr als die Hälfte unseres Lebens hinter uns. Als Martin mit der Idee zu dem Titel ankam, fand ich ihn sofort toll. "Memento Mori" klingt so schön. Nach üppigen Bildern im Kopf. Nach großem Kino.
Dave, Sie wären ein paar Mal fast tot gewesen. In Ihrer Patientenakte stehen unter anderem ein Suizidversuch, ein Herzstillstand nach Drogenüberdosis und ein Blasentumor. Stehen Sie dem Leben deshalb anders gegenüber?
Gahan: Manchmal umschleicht mich der Gedanke an den Tod, aber ich hoffe sehr, er holt mich nicht so bald. Denn ich liebe mein Leben, meine Frau, unsere mittlerweile erwachsenen Kinder, die Freunde, unsere Katzen. Es macht mich glücklich, mit denen zusammen zu sein. Und ich brauche gar nicht viel. Ich liebe schöne Abende bei gutem Essen und guten Unterhaltungen. Mit 30 wäre ich stattdessen immer auf der Suche nach der nächsten Ekstase, der nächsten Eskalation gewesen.
Am 26. Mai 2022, mitten in der Albumproduktion, starb Ihr Keyboarder Andrew Fletcher an einem Riss der Hauptschlagader. Wie haben Sie auf den Verlust reagiert?
Gore: Mit Entsetzen. In der ersten Phase ging es nur darum, zu funktionieren. Dabei hat uns die Arbeit sehr geholfen. Wir haben weitergemacht, unsere Gehirne beschäftigt. Wir waren froh, dass wir die Musik hatten.
Gahan: Aber durch Andys Tod ist nichts mehr, wie es war. Jetzt sind nur noch wir zwei übrig. Wir sind dadurch enger zusammengerückt.
Manche Songs klingen stark nach den klassischen Depeche Mode, will sagen: nach den Achtzigern.
Gore: Niemand sollte glauben, dass wir vor einer Albumproduktion große Konzepte entwerfen. Wir schreiben Songs, wir nehmen sie auf, und dann klingen sie, wie sie klingen. Ich schwöre, es ist kein Hexenwerk.
Steffen Rüth