Dass der heimische Filmnachwuchs ausgezeichnet ist, hat die 44. Ausgabe des Max Ophüls Preis erneut bewiesen. Das Austro-Kino dominierte. Gleich drei Preise gingen an Clara Sterns eindringliches Coming-of-Age-Drama "Breaking the Ice" über eine Identitätssuche zwischen familiärem Weingarten und Damen-Eishockeymannschaft: jener für das beste Drehbuch, den gesellschaftlichen relevantesten Film sowie den Preis der Jugendjury. In deren Begründung heißt es: "Authentisch, intensiv und emotional mitreißend. Nicht nur in den zwischenmenschlichen Beziehungen wird das Eis gebrochen, der Film macht das auch mit uns." Die Darstellerinnen Alina Schaller und Judith Altenberger nahmen u.a. die Preise für Stern entgegen, sie dreht aktuell eine TV-Komödie für den ORF in Wien – mit Schneechaos und Drehplanänderung.

Stern schickte eine Videobotschaft und wusste zu dem Zeitpunkt erst von einem Preis: "Allein die Deutschland-Premiere bei diesem besonderen Festival war ein wahnsinniges Geschenk. Und jetzt eine Auszeichnung zu bekommen, bedeutet mir sehr, sehr viel", sagte sie darin.

Über zwei Ehrungen darf sich David Wagner für sein in Venedig uraufgeführtes und auch ausgezeichnetes Drama "Eismayer" mit dem famos-nuancierten Schauspiel von Gerhard Liebmann und Luka Dimic freuen: Das präzise Drama über einen gefürchteten Schleifer beim Bundesheer, der sich als schwul outet und in einen Rekruten verliebt, erhielt den Publikums- und Filmkritik-Preis. Es basiert auf einer wahren Story – und dieses Wissen macht den präzise gefilmten Film noch berührender. "Ich freue mich schon, das dem echten Eismayer zu sagen", sagte Wagner im Anschluss an die Gala und freute sich mit seinem Team über die Bandbreite der Anerkennung von Kritik bis Publikum. "Wow! Was für eine Ehre!", freute er sich im Gespräch mit der Kleinen Zeitung.

Gerührt: David Wagner räumte zwei Preise für "Eismayer" ab
Gerührt: David Wagner räumte zwei Preise für "Eismayer" ab © Oliver Dietze

Für ihr Debüt „Good Life Deal“ über einen Frühpensionisten, der sich in Thailand sein Glück erträumt und schamlos ausgenutzt wird, erhielt die Wienerin Samira Ghahremani den Preis für den besten Dokumentarfilm. Ruhig und unaufgeregt beobachtet sie eine Transformation. Die Jury lobte die wendungsreiche Reise des Films, auch als "Reise der vorschnellen Urteile und Zuschreibungen", hieß es in der Begründung. "Denn der 'Good Life Deal' entpuppt sich im Laufe des Filmes als Betrug, in dem Vertrauen verletzt und Bankkonten geplündert wurden, wo ein gutes Herz dem Wunsch nach einem schnellen Mercedes weichen muss." Die Regisseurin meldete sich aus ihrem Wohnzimmer via Videobotschaft zu Wort.

Österreichische Triumphe

Auch in der Kategorie Kurzfilm setzte sich ein österreichischer Beitrag durch: Haneke-Schüler Kálmán Nagy sicherte sich mit "Das andere Ende der Straße" die Trophäen für den besten Kurzfilm sowie den Publikumspreis. Die Jury begründete ihre Entscheidung wie folgt: "Wie gehen wir damit um, wenn unser eigenes Kind uns anlügt? Dank eines grandios besetzten Ensembles, dessen feines Spiel uns mitfühlen lässt, führt uns dieser Film an die Grenzen unserer eigenen Moral."

Augustin Groz jubelte über seinen Schauspiel-Preis
Augustin Groz jubelte über seinen Schauspiel-Preis © Oliver Dietze

Als Schauspielnachwuchs geehrt: die Deutsche Alina Stiegler ("Sprich mit mir") und der Wiener Augustin Groz ("Wer wir einmal sein wollten"). Über sein Spiel in Özgur Anils Film urteilte die Jury: "Er ist in Not. Er irrt durch sein seelisches Ungleichgewicht. Er sucht nach einer Lösung. Seine Not und sein Leid sind nie oberflächlich, sie ziehen uns als Zuschauende nie runter, sondern lassen uns hoffen und mitfiebern, dass er seinen Ausweg findet." Dieser sprang mit einem Satz auf die Bühne und steuerte an einem ohnehin emotionalen, energiegeladenen und Freudentränen reichen Abend euphorische Posen bei. Dadurch schließlich ließ sich die großartige Schauspielerin Sandra Hüller, der ein Tribut gewidmet war, zu folgender Aussage hinreißen: "Wenn ich euch hier sehe und wie ihr euch füreinander freut, dann rührt mich das dermaßen und finde es so toll", sagte sie auf der Bühne.

Großer Sieger: "Alaska"
Großer Sieger: "Alaska" © FFMOP

Und zum Grande Finale erhielt der deutsche Filmemacher Max Gelschinski den mit 36.000 Euro dotierten Max-Ophüls-Preis für den besten Spielfilm. In "Alaska" schickt er seine Protagonistin in einem knallroten DDR-Kajak elegisch über die Mecklenburgische Seenplatte. Ein famoses, poetisch abfotografiertes Kinoabenteuer mit Kerstin (Christina Große) in der Hauptrolle und Alima (Pegah Ferydoni) in einer starken Nebenrolle als Frau, die das stoische Leben der Protagonistin im roten Kajak unterbricht. An "Alaska" lassen sich zwei Trends dieser 44. Ausgabe erkennen: Einerseits war es nicht die einzige DDR-Geschichte aus dem Blickwinkel der nächsten, kraftvollen Generation deutschsprachiger Filmschaffender. Und andererseits war diese Kerstin nur eine der famosen, widerspenstigen und sich und ihre Handlungen nicht erklärenden Frauenfiguren dieses Festivals. Auch in "Tamara" von Jonas Ludwig Walter oder "Sprich mit mir" von Janin Halisch stehen unbeirrbare Frauen im Fokus der Geschichte. Frauen, die mit sich und ihren Müttern und deren Sprachlosigkeit hadern.

Auch das war ein Thema, das sich sowohl im Spielfilm- als auch im Dokumentarfilmsektor durchzog: die Konfrontation von jungen Menschen mit ihren Eltern – den schweigsamen Müttern und den abwesenden Vätern. Kleine, feine Familiendramen gab es zuhauf zu entdecken. Der Schweizer Beitrag "Semret" von Caterina Mona erzählt von der afrodeutschen Teenager-Tochter Joe und ihrer Mutter Semret. Ihre Welt in Zürich beginnt zu wanken, als Joe mehr über ihre Wurzeln aus Eritrea in Erfahrung bringen will. Doch die Mutter weigert sich, zu tief wurzeln die Traumata der Erlebnisse und jene der Flucht.

Relevante Dokumente

Zwei prämierte Dokumentarfilme begeben sich auf individuelle Suche nach der Identität und spannen dabei von der persönlichen Ebene einen großen Themenbogen auf: "Independence", der wuchtige und wunderbar montierte Debütfilm von Felix Meyer-Christian startet ausgehend von der Schauspielerin Helene Wendt von Oldenburg aus eine Unabhängigkeitsstudie von Südsudan bis Katalonien, von Mosambik bis Bayern, von Berlin bis Großbritannien. Dafür erhielt die Doku des Berliners den Preis der Filmkritik sowie den Musik-Preis. Der Publikumspreis für den besten Dokumentarfilm geht an das berührende Werk "Für immer Sonntag", in dem der Schweizer Filmemacher Steven Vit seinen Workaholic-Vater beim Übertritt vom Arbeits- ins Pensionsleben begleitet. Es ist eine wahrhaftige und schonungslos offene Reise vom Berner Oberland bis nach Tokio, von Shanghai bis in dessen Geburtsland Heimat. Eine Reise voller Emotionen, die den Protagonisten an seine Grenzen bringt – wie die Ehefrau. 

Eine goscherte neue Stimme im österreichischen Kino ist hingegen Bianca Gleissinger, die in "27 Storeys" einen kurzweiligen, humorgetränkten Dokumentarfilm über Harry Glücks 1970er-Paradebau in Alt Erlaa in Wien drehte und dorthin zurückkehrte, wo sie einst aufwuchs. Gewitzter Realitätscheck der Utopie.

"27 Storeys" von Bianca Gleissinger - im Frühling im Kino
"27 Storeys" von Bianca Gleissinger - im Frühling im Kino © Polyfilm

Der Salzburger Daniel Limmer hingegen schenkte dem Publikum eine visuell überwältigende, halluzinogene Kinoerfahrung mit seiner sperrigen, experimentellen Low-Budget-Produktion "Enter Mycel", bei der ein parasitärer Pilz langsam in eine Familie eindringt, die nach dem Tod der Mutter bei einer Geburt in Schockstarre verfällt. Nur 3000 Euro hatte Limmer zur Verfügung, dafür gelang ihm Großartiges. Lukas Nathrath drehte um 4000 Euro das intime Kammerspiel "Letzter Abend" und wurde dafür von der Jury mit dem Preis für die beste Regie bedacht. Das Preisgeld von 11.000 Euro übersteige die Produktionskosten also um fast das Dreifache. Innovative Regiehandschriften unter prekären Bedingungen.

ffmop.de