Schwer zu durchschauen ist die Protagonistin im neuen Roman der slowenischen Bachmannpreis-Trägerin Ana Marwan. Rita ist eine Frau, die Geschichten schreibt. Sie traut der Welt nicht, weiß nicht, was aus ihr werden soll. Unklar bleibt für die Leserin aber lange, was Sein ist oder Schein, Fantasie oder Realität, Traum oder Wirklichkeit.
Rita arbeitet wie Ivo in einem "Ministerium, Abteilung Raumfahrt". Das scheint aber bald eine psychiatrische Anstalt zu sein. Und Ivo? Gibt es ihn wirklich? Eine Freundin Anja taucht auf: "Anja fühlte, dass sie ihrer Freundin beistehen musste, was nicht leicht war. Die Geistesstörung war für sie eine ferne, fremde Landschaft, die sie selbst nie betreten würde, das fühlte sie deutlich. Ihre Grenzen waren von unterschiedlicher Art – für Rita waren sie in den Sand gezeichnet, für sie waren sie Mauern ohne Türen."
So wie schon in "Wechselkröte", ihrem Siegertext beim Klagenfurter Wettlesen, entwirft die Autorin in "Verpuppt" das Psychogramm einer einsamen, sensiblen Frau, die sich in ihre Welt zurückzieht. Hier verpuppt sie sich in ihren Kokon aus Sprache, fühlt sie sich durch das Erzählen "lebendig".
Die Naturmetaphern sind zahlreich bei Ana Marwan, die vor der "Wechselkröte" mit ihrem ersten Buch einen Weberknecht auf ein Buchcover hob. Aus unterschiedlichen Erzählperspektiven, Tagebucheintragungen und einem seitenlangen Buchstabensalat, der als Nonsens-Textfläche daherkommt, entsteht so ein artifizieller, verwirrender Kosmos: "In den vergangenen Wochen habe ich so getan, als würde ich schreiben, aber ich habe nur langsam auf die Tasten geklopft. Der Zufall wollte nicht, dass die Zeichen etwas bedeuten."
"Verpuppt" lässt sich als Parabel auf das Künstler-Dasein lesen oder als augenzwinkerndes Verwirrspiel der Autorin mit ihrem Publikum: "Als sie es durchsahen, nickten sie mit dem Kopf, als würden sie verstehen. Vielleicht verstehen sie wirklich mehr als ich? Vielleicht verstehen sie einfach andere Dinge. Vielleicht verstehen sie genau das, was mir unverständlich ist, und umgekehrt." Schließlich scheint Rita therapiert: "Sie sind reif für draußen. Sie sind bis zu dem Maße abgestumpft, dass Sie mit dem Schreiben aufhören können."
Buchtipp: Ana Marwan. Verpuppt. Otto Müller, 220 Seiten, 24 Euro.
Karin Waldner-Petutschnig