Ob zuletzt Martin Amis in „Inside Story“ oder jetzt Bret Easton Ellis in „The Shards“: Es ist offenbar auch bei literarischen Blockbustern der letzte Schrei, nicht nur das Werk zu veröffentlichen, sondern den Lesenden auch ausführlich mitzuteilen, welche Not man als Autor mit der Publikation hatte und warum erst jetzt, nach vielen Jahren, die Zeit reif sei, den Roman – der in Wahrheit gar keiner mehr ist – zu publizieren. Und sowohl Amis als auch Ellis haben ihr eigenes Leben im Visier, das sie freilich fiktional garnieren, verfremden, falsche Fährten legen, aber die Hauptfiguren bleiben ... Amis und Ellis.
Wobei Bret Easton Ellis sogar in literarischer Dreifaltigkeit auftritt: als Autor, Erzähler und Hauptfigur seines neuen Romans „The Shards“. Vor allem in britischen Medien wird der 700-Seiten-Brocken gerne als „Meisterwerk“ rezensiert, und tatsächlich ist diese düster-manische Irr- und Verwirrfahrt in die Jugend von Ellis ein wilder, wortgewaltiger und explizit gewalttätiger Ritt über einen Scherbenhaufen, mit allen deftigen Zutaten, die man vom „American Psycho“-Kultautor erwartet: Blut, Schweiß, Tränen, Sperma, Drogen, Traumata, Tabus und viele Tote.
In „The Shards“ beschreibt Ellis einen düsteren Tunnel, den er als 17-Jähriger (angeblich) durchquerte. Die Geschichte führt zurück ins Jahr 1981, an die Buckley Prep School in L. A, die Bret besucht und an der im letzten Schuljahr ein neuer Schüler namens Robert Mallory auftaucht. Zur gleichen Zeit und am ungefähr gleichen Ort zieht ein Serienmörder namens „Trawler“ seine blutige Spur und bringt Jugendliche auf bestialische Art um.
Das ist die Rahmenhandlung, die Ellis jedoch immer wieder lustvoll aushebelt, hinterfragt, unterminiert. Was „The Shards“ genau sein soll, ist unklar. Therapie für den Autor, Selbstreflexion, egomanisches Psychospiel auf der Bühne der Literatur?
„Dies ist ein fiktionales Werk. Die Figuren, Ereignisse und Vorfälle entspringen der Vorstellungskraft des Autors.“ Diese Sätze am Ende des Buchs belegen, dass man hier niemandem trauen darf. Weder dem Autor noch dem Erzähler und schon gar nicht der Hauptfigur. Ja, „The Shards“ ist ein Meisterwerk. Das Werk eines verstörten und verstörenden Meisters.
Buchtipp: Bret Easton Ellis. The Shards, Kiepenheuer & Witsch,
736 Seiten, 28,80 Euro.