Was sind Ihre Pläne als aktueller Stadtschreiber in Graz?
ABDELAZIZ BARAKA SAKIN: Ich habe in Graz einen Roman begonnen, der heißt „Die Krähe, die mich liebte“. Diese Stadt hat mich zu diesem Buch inspiriert.
Wie empfinden Sie diese Stadt und das Leben hier?
Graz ist für mich die letzte Stadt, bevor Osteuropa beginnt. Für Flüchtlinge gibt es ja verschiedene Wege nach Europa. Den Seeweg, der ist schwierig und gefährlich. Viele kommen deshalb zu Fuß. Diese Route heißt „Ameisenstraße“. Und diese Straße führt oft nach Österreich, nach Graz. Denn hier können Flüchtlinge, im Gegensatz zu vielen Ländern Osteuropas, sicher sein, dass die Menschenrechte eingehalten und dass sie anständig behandelt werden.
Und die Krähen?
Es gibt viele Krähen in Graz. Ich mag diese Tiere. Sie schicken mir auch Nachrichten – und es sind immer gute Nachrichten. Wenn ich eine Krähe sehe, macht mich das glücklich.
Wovon handelt der Roman?
Von einem Flüchtling, der nach England will. Aber weil er Angst vor dem Wasser hat, beschließt er, mit einem Ballon über den Kanal zu fahren. Aber das Projekt scheitert, und er geht zu Fuß zurück nach Graz, wo dieser Mann, der nichts besitzt, mit Krähen zusammenlebt. Und diese Tiere beschützen ihn. Der Roman handelt vom Leben als Flüchtling und welche Wahlmöglichkeiten man hat. Sartre hat gesagt, man kann wählen, ist dann aber verantwortlich für seine Entscheidungen. In diesem Roman ist übrigens der Einfluss von Edgar Allan Poe spürbar. Poe war mein literarischer Lehrer. Das erste Buch, das ich gelesen habe, war von ihm. Ich war damals 13 Jahre alt und habe das Buch meinem Bruder, der es versteckt hatte, gestohlen. Unten am Fluss bin ich dann gesessen und habe begeistert Poe gelesen. Ab diesem Moment wusste ich, dass ich Schriftsteller werden möchte. Kurz darauf, mit 14, habe ich meine erste Geschichte geschrieben. Sie hat natürlich von Teufeln und Dämonen gehandelt.
Sie sprachen von Wahl, aber Sie selbst hatten nicht viele Wahlmöglichkeiten. Sie haben im Sudan als Lehrer gearbeitet, als Unicef-Berater, mit Ihren Büchern, die oft von sozialen Randgruppen und vom Krieg handelten, aber die Machthaber gegen sich aufgebracht. Deshalb mussten Sie das Land verlassen und befinden sich seit 2012 im Exil.
Wenn ich jetzt in den Sudan zurückkehren würde, wäre ich meines Lebens nicht sicher. Ich bin gegen das Regime, es handelt sich schlicht um eine Militärdiktatur. Sogar die Menschen, die ich früher unterstützt habe, sind jetzt Teil dieser Regierung. Ich habe also nur Feinde in meiner Heimat. Ich hatte keine Wahl, musste weggehen. Hier, in Europa, habe ich sehr wohl Wahlmöglichkeiten. Ich habe mich entschieden, obwohl das ein schwieriger Weg ist, mein Geld als Schriftsteller zu verdienen.
Warum genau mussten Sie den Sudan verlassen?
Die Regierung sagt: Wir sind ein arabisches, muslimisches Land. Aus. Punkt. Aber viele Menschen im Land sind nicht arabisch, kommen aus Nubien, so wie meine Vorfahren und ich. Und wir haben eine alte, reiche Kultur. Aber diese Kultur wird verleugnet und verboten. Und darüber schreibe ich. Und deshalb sind meine Werke verboten im Sudan.
Haben Sie in Österreich etwas gefunden, dass man neue „Heimat“ nennen könnte?
Man kann einen neuen Ort zum Leben finden, aber das ist noch keine Heimat. Mein Dorf im Sudan ist meine Heimat, auch wenn ich vermutlich nie wieder dorthin zurückkehren kann. Aber ich bin froh, in Österreich leben zu dürfen. Meine Bücher werden veröffentlicht, ich habe viele Freunde, auch in Saalfelden, wo mein Sohn, er ist 23 Jahre alt, lebt. Meine Frau ist vor vielen Jahren gestorben. Ich bin mit meinen beiden Söhnen nach Österreich gekommen. Mein älterer Sohn ist leider im Vorjahr ebenfalls gestorben. Sein Grab ist hier, in Österreich. Dort, wo auch ich eines Tages begraben sein werde. Es ist schön zu wissen, wo man einmal seine letzte Ruhe findet.
Buchtipp: Abdelaziz Baraka Sakin. Der Messias von
Darfur. Edition Orient, 166 Seiten, 22,60 Euro.