Seine Bücher werden von der Kritik hochgelobt – und das völlig zu Recht. Doch bei uns ist der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm noch immer nicht dort angekommen, wo er hingehört, nämlich ganz oben am literarischen Firmament.
Die Geschichten von Stamm kommen auf leisen Sohlen daher, sein Ton ist leise und mitunter sogar spröde, doch schon bald entwickelt sich ein Sog, dem man sich nicht mehr entziehen kann. "In einer dunkelblauen Stunde" erzählt die Geschichte der Filmemacherin Andrea, die ein Porträt des bekannten Schriftstellers Richard Wechsler drehen möchte. Die Arbeit beginnt in Paris, doch Wechsler entzieht sich zunehmend dem Zugriff des Filmteams, lässt sein Leben lieber weiterhin im Dunkeln, zitiert im Gespräch mit Andrea den großen Enigmatiker Fernando Pessoa: "Wenn ihr nach meinem Tode meine Biografie schreiben wollt, so ist nichts leichter als das. Sie hat nur zwei Daten – Geburt und Todestag."
Im Schweizer Heimatdorf Wechslers werden weitere Drehtage vereinbart, doch der Schriftsteller taucht nicht auf. Stattdessen begibt sich Andrea auf Spurensuche, trifft auch die wenigen Freunde und vor allem auf eine Frau namens Judith, heute Pfarrerin im Ort. Die (unerfüllte Lebensliebe) Wechslers?
Der Boden, auf den Peter Stamm führt, wird immer schwankender und unsicherer. Man weiß nicht mehr, was Wahrheit ist und was Dichtung – und ob dazwischen überhaupt eine Trennlinie zu ziehen ist. Fantasiertes und Fiktives vermengt sich mit Erlebtem, Andrea gleitet zunehmend in eine manische Fixierung. Auch das Spiel, das Stamm mit uns Lesenden treibt, ist faszinierend und verwirrend. Andrea erfährt Details über Wechslers Leben, verschweigt sie aber – um ihn zu schützen? Und immer wieder geht es um die Wirkkraft der Literatur und was sie mit dem Schreibenden anrichten kann. Im Guten wie im Schlechten.
Peter Stamm. In einer dunkelblauen Stunde.
S. Fischer, 252 Seiten, 24,70 Euro.