Auch die hellsten Kometen verglühen. Fixsterne aber braucht der Opernhimmel. So schrieben wir einmal, etwas in Sorge um die Steilheit des Karrierestarts von Anna Netrebko. Nach ihrem brillanten Debüt 2002 bei den Salzburger Festspielen, wo sie unter Dirigent Nikolaus Harnoncourt und in der Inszenierung von Martin Kušej die Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni“ gesungen hatte, lief die Marketingmaschine heiß. Die alle bezaubernde russische Sopranistin, sogleich von den Fans fast hysterisch verehrt, wurde jedenfalls von der vor ihr auf dem Bauch liegenden Plattenindustrie und von PR-Kosmetikern zum rettenden Pin-up-Girl der Opernwelt aufgeschminkt.
Anna Netrebko verglühte nicht, wurde ein Fixstern, ist es heute noch. Sie leuchtet. Künstlerisch. Und doch ist da dieser Schatten in ihrem noch bis vor Kurzem nicht nur einfachen, aber blitzsauberen Lebenslauf, den sie sich allerdings selbst zuzuschreiben hat. Man könnte in diesem Zusammenhang den Titel ihres jüngsten Albums beinahe als Omen lesen: „Amata della tenebre“. Geliebt von der Dunkelheit. Diese Dunkelheit wird sie wohl nie wieder los.
Im Dezember 2014 – noch im Jahr der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Truppen der Russischen Föderation – setzte Netrebko einen ersten fragwürdigen Schritt. Die Sängerin hatte damals eine Spende von etwa 15.000 Euro für das Opernhaus von Donezk überreicht und mit dem Separatistenführer Oleg Zarjow vor einer Flagge eines imaginierten, russisch kontrollierten „Neurusslands“ im Osten und Süden der Ukraine posiert und damit weltweit für Kritik gesorgt.
Im September 2021 feierte die Sängerin aus dem südrussischen Krasnodar, die seit 2006 auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, im Kremlpalast in Moskau bei einer Gala mit internationalen Stars ihren 50er. Auf der Bühne wurden Glückwünsche des nicht anwesenden Wladimir Putin verlesen. Dass man versuchte, ihr deswegen nachträglich einen Strick zu drehen, ist nur unrecht und billig. Er war und ist ihr Präsident.
Im Februar vorigen Jahres geriet die Operndiva nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine wie andere Landsleute auch – etwa ihr Mentor von Studienzeiten an, Dirigent Valery Gergiev – unter Druck. Erst zögerlich gab sie eine Stellungnahme ab: Sie wünsche sich, der Krieg möge aufhören. Sie fügte aber hinzu, es sei nicht richtig, Künstler zu zwingen, ihre politische Meinung zu äußern und ihr Heimatland anzuprangern. Kritiker ätzten daraufhin, sie habe bestenfalls „Halbtöne“ zu dieser Tragödie von sich gegeben.
Es folgten weitere Diskussionen über Netrebkos Haltung zu Putin, dessen Rückkehr ins Präsidentenamt sie in einem Prominentenkomitee 2012 unterstützt hatte. Es hagelte zahlreiche Absagen großer Häuser, ihre Agentur trennte sich von ihr. Aber auch in Russland selbst fiel sie in Ungnade: Vom Opernhaus in Nowosibirsk wurde sie ausgeladen, weil sie es gewagt hatte, die Handlungen „unseres Staates“ in der Ukraine zu verurteilen. Die „Prawda“ schrieb, sie hätte sich als „schwache Frau“ erwiesen und ihr „Wohlbefinden“ über ihre Nationalität gestellt.
Netrebko zog sich in eine künstlerische Pause zurück, die aber nicht lang währte. Ende April 2022 sprang sie an der Opéra de Monaco, übrigens seit zwei Wochen von ihrer Kollegin Cecilia Bartoli geleitet, als Manon Lescaut in Puccinis gleichnamiger Oper ein. Es folgten umjubelte Auftritte in Paris und Mailand, Anfang September sang sie für eine Repertoire-Vorstellung von Puccinis „La Bohème“ wieder in der Wiener Staatsoper. Demonstrativer Applaus drinnen vom Publikum, demonstrativer Protest draußen seitens der ukrainischen Diaspora. Samstagabend (14. Jänner) war davon nichts Nennenswertes zu sehen. Da übernahm Netrebko, dieses „Gesamtkunstwerk auf der Bühne“ (©Helga Rabl-Stadler), in einer luxuriös besetzten „Aida“ von Giuseppe Verdi die Titelrolle, drei ausverkaufte Vorstellungen folgen noch. Unsere Kritik lesen Sie hier.
In Opern- und Konzerthäusern wird Netrebko weiterhin geliebt, gerade auch in Österreich, wo ihr Stern aufging. Abseits davon aber schlägt ihr oft harsche Ablehnung entgegen: Wie das Amen im Gebet gibt es unter dem Gros von Postings zu Nachrichten über sie den Vorwurf fehlender Deutschkenntnisse, viele beurteilen sie (meist ohne jegliche Kenntnisse, wie unschwer zu erkennen) als „weit überschätzte Diva“, und wer damit noch nicht genug Jauche ausgeschüttet hat, macht gleich auch noch ihren Körper zum Gespött. Reich, erfolgreich, selbstbewusst, und dann auch noch eine Frau! Das ist vielen – wohl vor allem Männern – zu viel des „Schlechten“.
Michael Tschida