"Da capo" zeichnet in 61 Songs das Werk und Wirken Ihres Vaters nach. Was bedeutet Ihnen das Album?
JENNY Jürgens: In erster Linie ist "Da capo" ein Dankeschön und eine Verneigung vor unserem Vater. Und natürlich erfüllen wir damit auch die Wünsche vieler Fans. Endlich haben wir jetzt etwas umsetzen können, worauf wir viele Jahre hingearbeitet haben. Die Leute haben uns zum Teil kritisiert und uns vorgeworfen, auf der faulen Haut zu liegen, aber früher war es nicht möglich, dieses Album zu veröffentlichen.
Weil es hinter den Kulissen jahrelange Auseinandersetzungen um das Erbe gab?
Ja, es gab massive Probleme, wir mussten die Rechte unseres Vaters an den Songs verteidigen, was Jahre dauerte und ein großer Kampf war. Schlussendlich hat es geklappt, und jetzt schauen wir endlich nach vorne und bringen die Stimme unseres Vaters wieder zum Klingen.
Wir heißt: die Familie: Wie nah stehen Sie sich?
Sehr nah. Das Verhältnis zu meinem Bruder John und seiner Frau ist sehr eng, auch die Beziehung zwischen meiner Halbschwester Sonja, meinem Mann und mir und meiner Mutter, die jetzt 83 wird, ist ein von hohem Vertrauen geprägter Schulterschluss.
Was hätte Ihr Vater denn wohl selbst zu "Da capo" gesagt?
Er war ein kritischer Typ, vor allem, wenn es um seine Arbeit ging. Aber ich bin überzeugt, dass ihm das Album gefallen würde. Es beweist: Udo Jürgens ist nicht tot. Seine Lieder sind absolut zeitlos und generationsübergreifend, er hat den Finger immer in die Wunden gelegt.
Den Auftakt von "Da capo" macht die Liveaufnahme von "Die Welt braucht Lieder".
Das war das erste Lied seines letzten Konzerts am 7. Dezember 2014 in Zürich. Ich kann das gar nicht hören, ohne zu weinen. Auch "Damals wollt‘ ich erwachsen sein" überwältigt uns Kinder. Andere Menschen abzuholen und tief zu berühren, das konnte der Papa einfach.
Jahrzehntealte Stücke wie "Peace Now" oder "Atlantis sind wir" könnten kaum aktueller sein.
Mein Vater war stets ein politischer Mensch. Er sagte immer "In dem Wort Unterhaltung steckt das Wort Haltung". Wir haben versucht, einen Bogen über seine gesamte Weltkarriere zu spannen, mit allen Facetten. Nicht chronologisch, sondern gestaffelt nach besonderen Ereignissen in seinem Leben. Das allerletzte Lied zum Beispiel ist "Wien" – und in Wien ist der Papa auch beerdigt. Wir wollten die Menschen mit diesem Album emotional abholen und nicht bloß ein "Best-of" machen. Daher bringen wir auch unveröffentlichte Songs ans Licht, etwa die Liveaufnahme der Jazznummer "All of me" aus dem Jahr 1957.
War Ihr Vater ein glücklicher Mensch?
Oh, ich würde sagen, es war durchwachsen. Er war ein Getriebener. Er selbst sagte: "Das Glück ist wie ein Vogel, der sich ab und an auf deine Schulter setzt". Es bleibe nicht permanent. Mir tat das ein bisschen leid, denn ich selbst habe das Gefühl, dass der Vogel zu 80 Prozent der Zeit bei mir ist. Aber mein Vater war auch ein zerrissener Mensch. Als junger Mann hatte er stark mit Ängsten zu kämpfen gehabt, mit Albträumen auch. Er ist ein Kriegskind gewesen, das hat ihn geprägt. Er war aber auch sehr pflichtbewusst und war sich im Klaren darüber, was die Leute von ihm erwarten. Trotzdem hätte er alle Möglichkeiten gehabt, glücklicher zu sein, denke ich. Manchmal tut es mir weh, dass dem nicht immer so war.
Hat er aus seiner Melancholie und seiner Zerrissenheit kreativ schöpfen können?
Ja, definitiv. Nur wer die Abgründe der eigenen Seele kennt, der kann solche Texte und Lieder schreiben. Wie viel Tiefe gewinnt man denn schon aus permanentem Glück? Aus einer Traurigkeit oder einer gewissen Hoffnungslosigkeit schöpft man hingegen die Sehnsucht, dass es anders und besser wird.
Steffen Rüth