Schon seltsam, dass das Offensichtliche manchmal fast unsichtbar ist. Sexismus zum Beispiel ist oft so in den Alltag eingewoben, dass er von vielen kaum wahrgenommen wird. Allerdings lässt sich dagegen auch was unternehmen. Seit einiger Zeit steigt man auf Grazer Asphalt hin und wieder über dumpfe Sprüche in bunter Kreideschrift: urbane Interventionen des Vereins „Catcalls of Graz“, der die verbalen Belästigungen verschriftlicht, denen Frauen und Mädchen auf offener Straße ausgesetzt sein können. „Ankreiden“ nennt es das Team um Anna Majcan und Sarah Kampitsch, wenn sie sexistische Anmache öffentlich hinschreiben. Die Notwendigkeit dafür entstand, „weil viele nicht verstehen, warum Catcalls keine Komplimente sind“, erzählt Majcan. Auch wenn sich das an Aussagen wie „Geiler Arsch!“ oder „Hey Hübsche, in mei’m Bett is no Platz!“ überdeutlich zeigt.
Die hat das Team von Betroffenen eingesammelt, via Instagram. Weil über Social Media vor allem die bis Mitte-20-Jährigen erreichbar sind, aber das Anliegen auch die breitere Bevölkerung erreichen soll, haben Majcan, Kampitsch & Co. nun zum zweiten Mal eine Pop-up-Ausstellung organisiert. Für die Erstauflage ihrer „Galerie gegen Sexismus“ beim Grazer Lendwirbel gab es im Vorjahr den Frauenpreis der Stadt Graz. Diesmal ist die ausgebaute und auf den Jakominiplatz gesiedelte Schau noch umfassender angelegt. Und auch wenn die Organisatorinnen festhalten, dass sie selbst als weiße Cis-Frauen nur Ausschnitte sexistischer Erfahrung wiedergeben können: Die Komposition aus penibel recherchierter Information, cleverer Visualisierung und durchwegs zugänglichen künstlerischen Interventionen ermöglicht niederschwellige Bewusstseinsbildung ebenso wie substanzhaltige Reflexion.
Dass der Rundgang durch die Ausstellung fast einer Wohnungsbesichtigung ähnelt, verstärkt den unbehaglichen Eindruck sexistischer Alltagsdurchdringung: Zwischen Vorraum, Küche, Wohnzimmer wird sexistisches Verhalten in Dates, Mansplaining, Pay Gap anschaulich. Sexualisierte Gewalt, Victim Blaming, Gender Marketing, Sexismus in Popsongs und Filmkunst kommt ebenso zur Sprache wie der Umstand, dass sexistische Routinen auch Männern Gewalt antun, indem sie deren Emotionalität und Ausdrucksmöglichkeiten einschnüren.
Multidimensionalität entsteht durch zehn bemerkenswerte künstlerische Interventionen. Nicole Toferers unheimliche Bilder zeigen die scheinbar harmlosen Tatorte sexueller Gewalt, Instagram-Ikone Flowsofly hat für die Schau einen Frauenkörper gezeichnet, dessen Konturen erst durch offensichtliche Übergriffe sichtbar werden. Michaela Bauer erläutert in einem Comic, warum „Mädchen“ kein Schimpfwort ist. Paola Lesslhumer visualisiert mit Fotos junger Männer in den Kleidern ihrer Mutter allzu enge Rollenbilder und gibt in einer weiteren Serie symbolhaft jenen 31 Frauen Präsenz, die im Vorjahr in Österreich Femiziden zum Opfer fielen. Sehenswert.
Galerie gegen Sexismus. Graz, Radetzkystraße 5/Ecke Jakominiplatz. Bis 30. Dezember. Eintritt frei. Mo-Fr 16 bis 20 Uhr, Sa, So und Feiertag: 12-18 Uhr. Workshops und Schulführungen auch nach Vereinbarung, Tel. 0660 14 77 225
Ute Baumhackl