Fast eine Dekade nach dem enttäuschenden Album "Loud Like Love" haben Placebo mit "Never Let Me Go" ein fulminantes Studio-Comeback abgeliefert. Nach einem Vorgeschmack beim Nova Rock spielte die zu einem Duo geschrumpfte Formation am Montagabend in der Wiener Stadthalle mit ihren Mitmusikern ein starkes Konzert. Dabei wurde auf Nostalgie verzichtet, stattdessen klang die Band relevant und im Jetzt. Sie hatten eine Mission zu erfüllen - und das taten Placebo.
Brian Molko und Stefan Olsdal setzten rund die Hälfte ihres aktuellen Albums auf die Setlist, ergänzt mit Stücken, die zum akustischen Gesamtkonzept dieser Tournee passten. So mancher Alt-Hit blieb dabei auf der Strecke, wurde aber auch kaum vermisst. Denn die Darbietung passte vom Start mit "Forever Chemicals" und "Beautiful James", beide von "Never Let Me Go", bis zum Finale mit dem Kate-Bush-Cover "Running Up That Hill (A Deal With God)", das bei Placebo seit langem zum guten Ton gehört.
Stimmiges Gesamtbild
Der Sound war fett und glasklar wie Molkos Stimme, der man mehr als 25 Jahre Bandgeschichte nicht anmerkte. Placebo rockten mit viel Kraft, manchmal hart, dann wieder euphorisch von Keyboard-Flächen getragen, bisweilen mit einem Schuss Industrial-Chic ("Scene Of The Crime"), distanziert unterkühlt, einer ordentlichen Prise Glam ("For What It's Worth") und bei Bedarf richtig heavy ("Hugz"). Dazu erlebten die 6.500 Besucher eine kunstvolle, gediegene Licht- und Visuals-Inszenierung, die mit den Songs zu einem stimmigen Gesamtbild verschmolzen.
"Happy Birthday In The Sky" garnierte Molko mit einem superben Gitarrensolo, ein Rufzeichen, dass der demnächst 50-Jährige zu der Elite an diesem Instrument gehört. Für "Too Many Friends" wurde ein weißes Klavier auf die Bühne gerollt, an dem Olsdal Platz nahm. Unterstützt von einer Geigerin zelebrierte man mit dieser Ballade eine zarte Annäherung an den Mainstream-Pop. Auch wenn die bekannten Gassenhauer wie "Song To Say Goodbye" und "Infra-Red" von den Fans gefeiert wurden, setzten Placebo im Zugabenteil mit dem episch anmutenden hypnotischen "Fix Yourself" ausgerechnet mit einem neuen Stück den Höhepunkt.
Im "Hier und Jetzt"
Vor dem Auftritt hatte man gebeten, die Handys eingesteckt zu lassen. "Seid bitte einfach nur im Hier und Jetzt und genießt den Moment, denn dieser wird so nicht zurückkommen", war auf der Videowall zu lesen zu hören. Es gehe um "emotionale Kommunikation durch Songs", so Placebo. "Bitte helft uns bei dieser Mission". Nach dem Konzert monierte eine Besucherin, dass Molko "überhaupt nicht mit dem Publikum kommunizierte". Aber ja doch, das tat er eben mit und durch 21 Songs.
Wolfgang Hauptmann/APA