Krieg hinterlässt Wunden. Im Falle von Fahrije (Yllka Gashi) sind es nicht nur die seelischen Wunden. Es sind die Existenziellen. Sieben Jahre ist es her, seit ihr Mann Agim verschwunden ist. Damals, am 25. März 1999, als das kosovarische Dorf Krusha e Madhe von serbischen Streitkräften überfallen wurde und 240 Menschen getötet wurden oder verschwanden. Doch nicht nur ihren Mann und den Vater ihrer Kinder verlor Fahrije an diesem Tag. Auch ihre Existenz steht seither auf der Kippe. Im Kosovo, einem zutiefst patriarchalen Land, ist es verpönt, wenn eine Frau sich um sich selbst kümmert. Fahrije ist somit an den Haushalt und den Besitz ihres Schwiegervaters Haxhi (Çun Lajçi) gebunden, der die Familie auch nicht mehr ernähren kann. Fahrije muss Selbstständigkeit erlangen, eigenes Geld verdienen, auf die Zukunft schauen, wenn sie überleben will. Doch damit macht sie sich in ihrem Dorf einige Feinde.
Basierend auf der wahren Geschichte von der Kosovo-Albanerin Fahrije Hoti, die seit den 2000ern mit anderen Kriegswitwen selbstgemachten Ajvar, eine typische Paprika-Paste vom Balkan, an Supermärkte vertreibt, gelingt der kosovarischen Regisseurin Blerta Basholli in ihrem Langfilmdebüt ein eindringlicher Appell für die Selbstbestimmung von Frauen. Nie wertend, aber stets leise in der Ecke beobachtend, legt sie die Herausforderungen offen, mit denen diese Frauen konfrontiert werden. Die Steine, die ihnen in den Weg gelegt werden. Die Gefahr für eine Frau, die sich ein Stück Freiheit erkämpft, schwebt ständig über dem Unterfangen. So sieht man zwar nie offensichtliche Anfeindungen der Männer im Dorf, dennoch landet bald einmal ein Stein im Fenster von Fahrijes Auto. Ein anderes Mal ist das Regal mit dem fertigen Ajvar umgeschmissen.
Genauso bleiben Agim und all die anderen Männer, die einst verschwanden, nur die Geister vergangener Tage. Gespenster, die das Tun und Denken der Frauen beeinflussen und noch immer dirigieren. "Die werden sagen, die Frau des Vermissten fährt Auto", entrüstet sich eine Witwe, als vorgeschlagen wird, Fahrstunden zu nehmen. Viele lehnen ab. Fahrije ist die Einzige, die sich bereit erklärt. Immerhin gäbe es kein Ajvar-Business ohne Transportmöglichkeit. Ihre Beharrlichkeit ist es, die es ihr erlaubt, aus dem Kreislauf einer entmundeten Witwe mit winziger Pension auszubrechen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. "Wären wir im Krieg verschwunden", so ihre Freundin Zamira (Aurita Agushi), "dann hätten unsere Männer sofort wieder geheiratet. Und zwar jüngere Frauen." Doch ihr "Hive", ihr emsiger Bienenstock an Witwen und Gleichgesinnten, erlaubt wie ihr namengebender Gegenpart, ein Bestehen und Emanzipieren als Kollektiv.
Bewertung: ****
Susanne Gottlieb