In „Die Hauptstadt“ hat Robert Menasse ein Schwein als roten Faden durch Brüssel getrieben, und auch der Nachfolge-Roman „Die Erweiterung“ ist wieder voll politischer Sauereien, Unappetitlichkeiten, aber auch voll geschmackvoller und amüsanter Sticheleien und Anspielungen auf den EU-Machtapparat und dessen Untiefen. Denn sie, die Europäische Union, und die „27 Fäden“ (Mitgliedsstaaten), die daran hängen, sind wieder die Jagdgründe, die Menasse lustvoll durchstreift. „Die Erweitung“ geriet ihm zur beißenden Realsatire, und die Gefahr, dass aufgrund der Thematik der Roman auf der Strecke bleibt, ist dadurch gebannt, dass Menasse nicht nur ein analytischer politischer Kopf, sondern auch ein großartiger Erzähler ist.
Wie schon der Titel vorgibt, geht es diesmal um die EU-Erweiterung, konkret drängt Albanien in die EU. Zwei „Blutsbrüder“, einst im polnischen Widerstandskampf ein Herz und eine Seele, spielen dabei entscheidende Rollen. Der eine, Mateuz, ist inzwischen polnischer Ministerpräsident und will von Albanien nichts wissen – zu viele Moslems, zu kleiner Markt. Der andere, Adam, ist innerhalb der Europäischen Kommission für die Erweiterungsverhandlungen zuständig und zumindest an einem Kompromiss interessiert.
Aus den „Blutsbrüdern“ werden erbitterte Gegner. Dass der albanische Präsident aus taktischen Gründen mit einem Großalbanien droht und sich symbolhaft die sagenumwobene Skanderbeg-Krone auf den Schädel setzt, macht die Sache auch nicht unkomplizierter.
Intrigen, Interna, Interessenskonflikte, die Erweiterungsverhandlungen sind ein Minenfeld. Und natürlich kommt es, wie oft beim ausgewiesenen EU-Kenner Menasse, zum spektakulären Showdown. Dazwischen ein turbulentes, infames Polit-Theater, eine eingestreute Love-Story, viele kluge Sätze über den EU-Machtmoloch. „Wir halten Kurs, über das genaue Ziel einigen wird uns später.“ Aber das Credo von Menasse ist wohl in diesem Satz zusammengefasst: „Es gab Gründe, nicht an der Idee, aber an der Praxis EU zu (ver-)zweifeln.“
Buchtipp: Robert Menasse. Die Erweiterung.
Suhrkamp, 450 Seiten, 26 Euro.
Lesung: Robert Menasse liest am Sonntag, 9. Oktober, im "Haus lebt" in Hartberg (Michaeligasse 10). Beginn 15 Uhr. Weitere Informationen unter www.hauslebt.at