Georg Friedrich Haas (69) zählt zu den bedeutendsten österreichischen Komponisten der Gegenwart und wird bei Wien Modern mit der Aufführung seines Großprojekts "Ceremony II" gewürdigt. Aufsehen dürfte aber auch seine Beschäftigung mit der Vergangenheit erregen, die dieser Tage im Böhlau Verlag erscheint und im Rahmen des Festivals ebenfalls vorgestellt wird: "Durch vergiftete Zeiten. Memoiren eines Nazibuben" heißen die von den Herausgebern Daniel Ender und Oliver Rathkolb ergänzten und kommentierten autobiografischen Erinnerungen, die Haas 2014/15 niedergeschrieben und 2018 bis 2022 redigiert hat. In dem Band ist auch seine berührende Rede zum Festakt "50. steirischer herbst" 2017 abgedruckt, in der er von seiner Familie erzählte, die aus treuen Nationalsozialisten bestand und den Tod einiger Menschen auf dem Gewissen hat. "Wenn ich komponiere, stehen die Toten hinter mir. Ich habe lange gebraucht, um die Wahrheit zu sehen."
"Mit großer Akribie, emotionaler Stärke und klarer gesamtgesellschaftlicher Analyse rekonstruiert Haas in seinen Aufzeichnungen nicht nur seine komplexe Familiengeschichte im Umfeld des Nationalsozialismus, sondern auch seinen Kampf gegen diese Sozialisation", schreibt der Zeithistoriker Rathkolb in seinem Vorwort. "Dieses Buch bietet keine leichte Lektüre, und es ist beklemmend zu lesen, wie sich Haas langsam und unter heftigen Konflikten sowohl aus seinem familiären deutschnational/ nationalsozialistisch geprägten Umfeld löst und gleichzeitig konkrete inhaltliche und klar sichtbare Zeichen setzt." Zu den "höchst bemerkenswerten Einblicken" des Buches zähle der Vergleich seines Lebensweges mit jenem des späteren FPÖ-Obmannes Jörg Haider, "da beide aus 'Familien von 'anständigen' Altnazis' stammten": "Haiders offen ausgelebte Homosexualität, die in Österreich übrigens meist verschämt verdrängt wird, deutet Haas als 'Akt des Entkommens aus der vom Naziungeist infizierten Welt seiner Eltern', da die Nationalsozialisten bis auf prominente Fälle Homosexuelle offensiv verfolgten und viele von ihnen ermordeten."