"Dieser Mann macht keine Gefangenen, bietet keinen Trost, kratzt den Zuckerguss vom Leben." Diese Zeilen über "Rose Royal", den letzten Roman des französischen Schriftstellers Nicolas Mathieu, lassen sich auch gut auf dessen aktuellen Volltreffer anwenden.

"Connemara", der Titel des neuen Romans, führt in die Irre und hat nicht das Geringste mit der idyllischen Landschaft in Irland zu tun. Er bezieht sich vielmehr auf ein Chanson von Michel Sardou, in dem es etwa heißt: "Dort sieht man noch Menschen, die gekommen sind, Seelenfrieden zu suchen. Und für das Herz einen Vorgeschmack des Besseren."

Von Seelenfrieden kann bei Hélène keine Rede sein. Sie ist 40 Jahre alt, hat Karriere gemacht, den Mief ihrer kleinbürgerlichen Herkunft hinter sich gelassen. Doch vor sich sieht sie nicht den Vorgeschmack des Besseren, sondern den schalen Geschmack der vertanen Chancen. Dann, zufällig, trifft sie in ihrem Heimatort einen Mann wieder, den sie als Jugendliche angehimmelt hat. Es kommt zur Kontaktaufnahme mit ungewissem Ausgang.

Wer glaubt, dass Mathieu hier den ausgelatschten Pfad der Midlife-Crisis-Literatur betritt, irrt gewaltig. Denn anhand von Hélènes Unbehagen wühlt er tief in den Wunden der taumelnden Grande Nation, doch diese geografische Tiefenpsychologie lässt sich auch auf andere Länder übertragen. Consulting-Firmen treiben als gierige Wanderprediger ihr Unwesen. "One size fits all", grinst der Firmenchef. "Aber berechnet wird die Maßanfertigung." Und die Betrogenen und Belogenen klammern sich im allgemeinen Klima des Misstrauens an "Rasse und Fähnchen".
Ein böser, brisanter, illusionsbefreiter, treffsicherer, gewichtiger Roman. Connemara ist weit weg.

© KK

Buchtipp: Nicolas Mathieu. Connemara. Hanser, 429 Seiten,
27,50 Euro.