HINTERGRUND.
Das Gespräch mit Marco Wanda fand am 13. September statt. Zwei Wochen später, am 26. September, wurde publik, dass Christian Hummer, Keyboarder und Gründungsmitglied der Band, mit 32 Jahren verstorben war. Zuvor absolvierte Wanda bereits Konzerte ohne ihn. Hummer galt als stilles Mastermind, das gerne zwischen Rock und Klassik changierte. Sein erstes Klavier-Quartett schrieb er mit acht. Mit seiner Zweit-Band Loeweloewe feierte er ebenfalls Erfolge. Auch rief er das Label "Radio International" ins Leben, das junge Musikschaffende förderte.

Das neue Album, das am 30. September erscheint, heißt schlicht "Wanda". Es hat eine große Melodienseeligkeit. Ist es das befreiteste Album? Hat sich das Selbstverständnis der Band geändert?
MARCO WANDA: Irgendwie sind wir heute angekommen in dem, was wir machen. Wir machen uns selber keinen Druck mehr. Niemand hat so schnell eine Platte von uns erwartet. Zehn Jahre gibt es die Band und ich würde sagen, sieben davon operieren wir an der absoluten Spitze. Das hat seine Spuren hinterlassen, körperlich und seelisch, ohne Frage. Wir wissen mittlerweile, was wir tun. Wir wissen, was uns guttut. Bei dieser Platte hatten wir einfach Spaß. Spaß am Musikmachen.

Sie haben den Spaß also zwischenzeitlich verloren gehabt? Was war der Grund?
Ja, beim Vorgängeralbum war er ein bisschen weg. "Ciao" stand noch so im Schatten dieses Megaerfolgs der Single "Columbo". Da waren ja der Song und das Album auf Platz eins der Charts, gleichzeitig. Das hat mir nicht so geschmeckt. Auch nicht als Lieder-Schreiber. Das hat dann doch irgendwie Druck gemacht. Und es hat mir nahegelegt, ein Nummer-1-Hit wäre etwas, dass man wie ein Alchemist entschlüsseln könnte. Dann habe ich mich hingesetzt, monatelang, und versucht, dieses Geheimnis zu entschlüsseln. Aber da war zu viel Druck im Spiel. Und dann kam die Pandemie, der komplette Stillstand. Das war so ein Freibrief, wieder mal in seinen vier Wänden zu machen, was man will.

Dabei hatten Sie bei unserem letzten Gespräch noch gemeint, Sie hätten sich nicht mehr in den "Dienst der Innovation" gestellt, hätten nüchtern, zurückgezogen, locker darauf losgearbeitet.
Es war dann eh auch schon in gewisser Weise ein Befreiungsschlag, weil ich eben nicht versucht habe, ein zweites "Columbo" zu schreiben. Aber wir als Band waren bei "Ciao" nicht in der besten Verfassung. Auch wenn die Platte musikalisch gehaltvoll ist, sie hat mir keinen Spaß gemacht.

Ist jetzt "alles ein bisschen wurscht", wie Sie auf "Va bene" singen?
Wir hatten dieses Mal wieder den Schwung der Anfangstage im Studio. Und mit diesem fünften Album ist schon auch ein Zyklus abgeschlossen. Wir beschäftigen uns gerade sehr damit, wie die Band in Zukunft klingen wird. Ich glaube nicht, dass man für immer dasselbe machen kann und will. Dieses Album ist so was wie ein Best-of. Ich habe beim Hören manchmal das Gefühl, dass alle musikalischen Richtungen, die wir jemals ausprobiert haben, hier zusammenlaufen.

Gleichzeitig klingt das neue Album sehr opulent, wagt die große Stadiongeste. Die Refrains lehnen sich weit raus, haben Chöre. Im Ernst-Happel-Stadion traten Sie mit neuen Mitmusikern auf.
Ja, es fühlt sich wie eine musikalische Familie an. Wir sehen die Wanda-Liveband jetzt als neue Möglichkeit und haben einfach Freude beim Spielen. Wir haben ein großartiges Streichquartett. Georg Gabler, der ehemalige Fendrich-Keyboarder, spielt jetzt mit uns. Zebo Adam (Anm. d. Redaktion: u. a. Bilderbuch-Produzent), der Sohn von Adam Wickerl, wird einen Gastauftritt haben.
Was der Valentin (Anm. neuer Drummer der Band) in die Gruppe gebracht hat, ist eine gewisse Ruhe. Valentin ist einfach ein sehr aufgeräumter, reflektierter Mensch. Das hat dieser Gruppe gutgetan. Mit dem Lukas (Anm. früherer Schlagzeuger der Band) ist ein Freund ausgestiegen und der Valentin ist dazugekommen. Also ein Freund hat den anderen Freund abgelöst. Das war ein großes Glück. Wir wollten auf keinen Fall irgendeinen Vishnu-artigen, achtarmigen Megaprofi aus Deutschland einfliegen. Das hätte man alles machen können. Man hätte sicher auch den Besten der Besten holen können. Aber der Valentin ist ein fantastischer Schlagzeuger und ein fantastischer Musiker. Vor allem aber ist er ein fantastischer Mensch. Das war viel wichtiger für uns.

Keyboarder Christian Hummer ist auf den letzten Bandfotos nicht mehr zu sehen. Gibt es auch an den Synthesizern eine Neubesetzung?
Ja, in der Livebesetzung, sozusagen.

Auf dem neuen Album singen Sie: "Alle gehen Joggen im Park". Sind die "Stehengelassenen Weinflaschen" also mittlerweile Realität? Oder eher Wunschvorstellung?
Also ich kann diese zwei Stunden-Plus-Mega-Shows ohne körperliche Vorbereitung nicht mehr spielen. Das ist absolut unmöglich. Ich werde nicht jünger und ohne Sport ist das gar nicht mehr möglich. Das Publikum hat uns zwei Jahre, also während Corona, die Treue gehalten. Ich würde mich schämen, wenn ich als verkatertes Wrack auf die Bühne kriechen würde. Die Leute haben uns im Moment in unserer Höchstform verdient. Das heißt jetzt aber sicher nicht, dass ich meinen hedonistischen Lebensstandard einschränke.

Sie haben im Vorfeld gemeint, dass Sie sich noch nie so intensiv mit Texten auseinandergesetzt haben, wie auf diesem Album. Wohin wollten Sie vordringen? Wo sind Sie gelandet?
Ich wollte viel mehr über das Leben, das wir alle leben, schreiben. Ich wollte nicht so abstrakt und uneindeutig sein und nicht zu verkopft und clever, wie davor. Grundsätzlich ist es einfach viel Arbeit. Lieder zu schreiben, passiert nicht nebenbei. Für ein gutes Lied zu arbeiten, ist Kampf genug. Wenn das Musikmachen ein eindeutiges Handwerk wäre, würde ich die ganze Zeit Texte schreiben, die Menschen zutiefst bewegen. Aber das ist eine Illusion.

Der Schriftsteller Philip Roth meinte: "Amateure warten auf Inspiration, Profis setzen sich hin und arbeiten."
Das gilt für einen Schriftsteller noch mehr, ja. Der kann sich ja nie über Klang und Harmonie entlasten oder ablenken, wie ich das als Sänger tun kann. Allerdings schreibe ich auch Musik und nicht Literatur. Aber ja, Literatur – das kommt mir vor wie das einsamste Handwerk der Welt.

Ist Wanda Therapie für jeden?
Ich habe das Gefühl, alle meine Texte sind immer eine Art Traumatherapie für alle, für mich und für alle gleichzeitig.

Das Album beschäftigt sich unmittelbarer als sonst mit dem Tod, dem Vergänglichen. Haben Sie Angst vor dem Sensenmann?
Ja, in Phasen schon. Das kommt und geht. Das haben wir alle gemeinsam, den Tod. Egal, ob arm oder reich, Beatles- oder Stones-Fan. Ich finde darin auch immer etwas Tröstendes. Ich gehe immer vom Tod aus beim Schreiben. Ich schreibe das hier für mich und für andere Menschen, die alle gemeinsam eines Tages sterben werden. Das ist für mich das Tor zur Nächstenliebe. Es tut mir einfach unfassbar leid, dass wir Menschen den Tod erleben müssen. Das trägt mich auch beim Texten.

Die Band feiert mit dem aktuellen Album ihr 10-jähriges Jubiläum. Wie habt ihr euch verändert? Wo steht Wanda heute?
Die Band versucht einfach so gut es geht, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Wir versuchen uns auch, als Menschen immer besser kennenzulernen. Wenn das Innen nicht funktioniert, kann das Außen auch nicht funktionieren.
Wir müssen langsam anerkennen, dass wir bleiben. Wir haben zehn Jahre an der Grenze zu unserer eigenen Vernichtung gelebt und das Gefühl gehabt, morgen ist es wieder vorbei. Und dementsprechend haben wir auch gelebt. Wir haben sehr schnell gelebt, wir haben sehr intensiv gelebt. Wir haben sehr zerrissen gelebt, zwischen Zuhause und Tour. All das bündelt sich jetzt. Also all diese Flüsse des Lebens laufen irgendwie in diesem Projekt zusammen. Ich fühle mich das erste Mal rundum wohl, muss ich sagen. Ja, ich habe das erste Mal das Gefühl, das hört morgen nicht auf. Das beruhigt mich sehr.