Als im Vorjahr mit Abdulrazak Gurnah endlich wieder ein Autor afrikanischer Herkunft den Literaturnobelpreis erhielt, war der Beifall selten einhellig und groß – ein Jahrzehntereignis, in mehrerlei Hinsicht. Bei den deutschsprachigen Verlagen allerdings brach Hektik aus. Gurnahs Werke wurden mehr als zwanzig Jahre zuvor veröffentlicht, blieben aber weitgehend unbeachtet und verschwanden aus den Regalen.
Mittlerweile sind die dringend erforderlichen Bringschulden eingelöst. Mit „Nachleben“ erschien nun ein weiteres, grandioses und aktuelles Werk des vor Jahrzehnten aus seiner Heimat Sansibar geflohenen Autors. Im englischsprachigen Original wurde diese zeitgemäße Variante einer tragischen Odyssee vor zwei Jahren veröffentlicht.
Seinen zentralen Themen hält Gurnah auch diesmal die Treue – es sind die grauenhaften Auswirkungen der kolonialistischen Ausbeutung und Schreckensherrschaft Deutschlands in Ostafrika und die Kolonialkriege ab 1914, vor allem zwischen Deutschland und England. Erneut gelingt es diesem genialen Romancier, Geschichte und Geschichten in eine epochale Schicksalssymphonie in Worten zu verwandeln. Immer wieder verblüffend und faszinierend ist es, wie bravourös Gurnah eine Vielzahl unterschiedlichster Erzählfäden nach und nach zusammenführt.
Einer der Protagonisten ist Ilyas, der sich von den deutschen „Schutztruppen“ als Askari-Krieger anwerben lässt. Nach jahrelangen Schlachten kehrt er nicht mehr in seine Heimat zurück, ohne Lebenszeichen. Jahrzehntelang stellen seine Angehörigen Nachforschung an, hoffend, dass er überlebt hat und anderswo eine Bleibe fand. Die Suche endet mit einem Albtraum. Ilyas wanderte nach Deutschland aus, er rechnete mit Anerkennung für seinen Einsatz in Afrika. 1940 wurde er im KZ Sachsenhausen ermordet.
Dies ist nur ein wichtiges Kapitel unter vielen. Gurnah klagt nicht an, er verurteilt nicht, er gilt als Meister der Zwischentöne. Diese aber können weitaus eindringlicher und anhaltender sein. Dieses „Nachleben“ erzählt sich nach der Lektüre wie von selbst weiter – Weltliteratur eben.
Buchtipp: Abdulrazak Gurnah. Nachleben.
Penguin. 379 Seiten, 26,80 Euro.
Werner Krause