Mit den Rollen von Männern, die sich Flüchtigen an die Fersen heften, hat der österreichische Hollywoodstar und Oscarpreisträger Christoph Waltz (65) schließlich reichlich gute Erfahrungen gemacht: als SS-Standartenführer Hans Landa in Quentin Tarantinos Nazi-Groteske „Inglourious Basterds“, wofür er 2010 seinen ersten Oscar für die beste Nebenrolle bekam, und später auch als Dr. King Schulz wieder bei Tarantino in „Django Unchained“, wofür er dann drei Jahre später gleich den zweiten Oscar in den Händen erhielt. Auch Regisseur Walter Hill (80) hatte nun den Geistesblitz, Waltz als Kopfgeldjäger zu besetzen – in seinem Western „Dead for a Dollar“, der auf den Filmfestspielen in Venedig außer Konkurrenz gezeigt wurde. Die Premiere war zudem der Anlass, den inzwischen Regisseur von Action-Hits wie „Nur 48 Stunden“ oder „Red Heat“ mit dem Karriere-Preis „Cartier Glory of the Filmmaker“ zu würdigen.
In dem Spätwerk bekommt Waltz nun den Auftrag, im Wilden Westen eine Frau aufzuspüren und zu ihrem Ehemann zurückbringen, nachdem sie mit einem Afroamerikaner Richtung Mexiko durchgebrannt ist. Wie sich dabei die Verwicklungen, Begegnungen und verschiedenen Allianzen entwickeln und alles bis zum letzten Shoot-Out und Duell zuspitzt, hat man bei der Genre-Konkurrenz alles anderswo schon fesselnder, roher, unterhaltsamer gesehen. Lediglich die leinwandfüllenden Western-Wüsten-Panoramen und die Besetzung heben den Film etwas aus der Unscheinbarkeit heraus.
Waltz nimmt sich dabei mit seinem Spiel etwas zurück und zeigt innerhalb dieses Figurentypus' eine menschlichere, freundlichere Version – bleibt aber ohne das Ausspielen seiner smarten Arroganz und seiner funkelnden Bösartigkeit auch gleich deutlich blasser. Eindrücklicher hingegen sind in diesem kleinen Ensemble Willem Dafoe als schlitzohriger Halunke und Glücksspieler, vor allem aber Rachel Brosnahan als erfrischend selbstbewusste Frau auf der Eheflucht. Dennoch verharrt die action- und im doppelten Sinne blutarme, kleine Westernproduktion, deren Kulissen so aufgeräumt und sauber wirken wie die einer Westernstadt, letztlich im Durchschnitt.
Tilda Swinton ist Mutter und Tochter
Auch im Wettbewerb um den Goldenen Löwen setzten sich derweil die filmischen Genre-Ausflüge fort – allerdings auf deutlich überraschendere Weise. Denn die britische Filmemacherin Joanna Hoggs (62) hat mit „The Eternal Daughter“ einen eigenen Zugang gefunden, von der Beziehung zu ihrer alten Mutter zu erzählen: Sie lässt den Realismus ihrer vergangenen Werke wie dem autobiografischen „The Souvenir“ hinter sich und schickt Tilda Swinton (61) auf ein unheimliches, englisches Landgut, das wie ein Direktimport aus den Gruselfilmen der Hammer-Studios wirkt.
Kunstnebel durchwabert ständig die klamme Provinz, die, wie auch die knarzigen Interieurs des altehrwürdigen Landhotels, in geisterhaft fahlem Licht erscheint. Swinton ist dabei nicht nur die Tochter, die in diesem seltsamen und verlassenen Ort Inspirationen für ein Drehbuch für einen Film über ihre Mutter sucht. Sie ist in einer grandiosen Doppelrolle auch als die Mutter zu sehen. Vieles bleibt dabei unausgesprochen und einiges bewusst im Unklaren, während diese Gruselfilmvariation auf verspukte, stille Weise vor allem ganz grundlegende Fragen über das Mutter-Tochter-Verhältnis ergründet.
Sascha Rettig/Venedig