Es passierte auch noch anderes nebst Harry-Styles-Wahn am Montag in Venedig. Ebenso starbesetzt, aber weniger kreischend. Es hat eine Zeit gedauert, aber das Dream-Team von "In Bruges" ist wieder vereint, wenn auch ohne Ralph Fiennes. Martin McDonagh kehrt für "The Banshees of Inisherin" in seine irische Heimat zurück, und erzählt die Geschichte von Padraic (Colin Farrell) und Colm (Brendan Gleeson), die einst die besten Freunde waren, bis Colm eines Tages beschließt, dass er Padraic nicht mehr mag. Er wäre fad, habe nichts anzufangen mit seinem Leben und würde ihn nur zurückhalten. Colm hingegen will noch etwas erreichen, Musik schreiben und der Nachwelt etwas hinterlassen. Doch Padraic will diesen Bruch nicht so einfach akzeptieren. Und der Rest des Dorfes auf der Insel Inisherin, darunter seine Schwester Siobhan (Kerry Condon), weiß auch nicht so recht, was mit der Situation anfangen.
Dieser Bruderzwist ist nicht zufällig im Jahr 1923 angesiedelt. Während es auf Inisherin langsam und öde dahingeht, wird auf dem Hauptland geschossen. Es ist der Bürgerkrieg zwischen den Free-State-Vertretern, die einer Abtrennung Nordirlands zugestimmt haben, um endlich von Großbritannien loszukommen, und der IRA, die die Insel vereint möchte. Bruder gegen Bruder, von einem Tag auf den anderen. Die Parallelen sind klar. Doch auch der menschliche Frust, wenn Freundschaften auf natürliche Weise zu Ende gehen, ist pointiert, humorvoll und doch bewegend verarbeitet.
Anders als diese Brudergeschichte thematisiert die Regisseurin Rebecca Zlotowski in ihrem Drama "Les enfants des autres" eine Auseinandersetzung mit Weiblichkeit: Rachel (Virginie Efira) hatte immer ein erfülltes Leben. Mit 40 lernt sie Ali (Roschdy Zem) kennen, der ein Kind, Leila, in die Beziehung bringt. Die von ihrem Beruf und Sozialleben erfüllte Frau muss sich nun der Frage stellen, wie baut sie eine Beziehung zu diesem Kind auf? Will sie selber auch noch eins? Und ist Ali der potenzielle Vater in einer Situation, in der sie von ihrem Doktor schon gewarnt wurde, dass ihre Fruchtbarkeit sich dem Ende neigt?
Zlotowski gelingt dieser Fokus auf das Frausein, die Selbsterfüllung und die Barrieren, die sich dabei auftun, nicht immer. Man versteht den symbolischen Countdown, der über Rachels Kopf hängt und fühlt mit ihr, dass sie als Frau biologisch in die Ecke gedrängt wird. Muttersein bleibt für sie keine Wahl, es wird eine anatomische "Entweder oder"-Situation. Dennoch bleibt die Beziehung zwischen ihr und Ali seltsam unterkühlt. Seine Entscheidung, sich Leilas Mutter (Chiara Mastroianni) wieder anzunähern, wirkt weniger wie eine wohlüberlegte Wahl, sondern Feigheit. Dennoch ist der Film eine mutige weibliche Perspektive auf die harten Realitäten, denen sich Frauen früher oder später stellen müssen.
Politisch brisanter ist ein ukrainischer Beitrag, der nicht im Wettbewerb läuft: Im Jänner 1946 ging in Kiew ein Gerichtsprozess gegen deutsche Nazis und Kriegsgefangene über die Bühne, die sich in zahlreichen ukrainischen Städten des Genozids, sowohl an der jüdischen als auch der restlichen ukrainischen Bevölkerung, schuldig gemacht haben. Dokumentarfilmer Sergei Loznitsa, der erst 2021 mit dem Vorgänger "Babyn Jar. Kontext" über eine der größten systematischen Ermordungen während der Besatzung bei der Viennale zu Gast war, legt hier nochmals mit einer weiteren bewegenden Doku nach.
In noch nie gesehenem Videomaterial, das die sowjetischen Mächte von der Gerichtsverhandlung gedreht hatten, bietet er in 106 Minuten einen bedrückenden, aber auch faszinierenden Einblick in die Gräueltaten der Nazis. Verfolgt die von "Pragmatismus" geleiteten Rechtfertigungen, man habe Frauen und Kinder erschossen, weil sie im Weg waren. Die wiederholten Rechtfertigungen, man habe Befehle befolgt und sei selber nicht vor Ort gewesen. Und fühlt mit den Zeitzeugen, die die Verbrechen am Gerichtsstand noch einmal durchleben. Ein Stück Zeitgeschichte, das man sich vor Augen führen muss.