Es sind schwere Vorwürfe, die Recherchen des deutschen Nachrichtenmagazins "Spiegel" gegen den Wiener Regisseur und Produzenten Ulrich Seidl erhoben haben: Beim Dreh von "Sparta" sollen Kinderrechte missachtet worden sein. Und die Eltern der minderjährigen Laiendarsteller in Rumänien sollen, so die Behauptung, bewusst im Unklaren gelassen worden sein, wovon der Film handelt: Von einem Mann, der seine pädophile Neigung erkennt. Verkörpert wird Ewald, so der Name der Figur, vom österreichischen Schauspielstar Georg Friedrich.
Die Recherchen
Setmitarbeiter, die beim Dreh in Rumänien im Winter 2018/19 und im folgenden Sommer dabei waren, wurden im Zuge der mehrmonatigen "Spiegel"-Recherchen interviewt und anonym zitiert: sieben minderjährige und zwei erwachsene Laiendarsteller sowie die Erziehungsberechtigten von acht Kindern kommen zu Wort; ebenso Menschen aus Seidls Team. Die Kinder konnten laut dem Bericht "teils nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden", wie der Journalist Bartholomäus Laffert in der "Zeit im Bild" erklärte. Die Eltern von acht minderjährigen Laienschauspielern sagen nun außerdem, dass sie dem Dreh nicht zugestimmt hätten, wenn sie von dem Thema gewusst hätten. Sie wollen nicht, dass der Film erscheint", schreibt das deutsche Magazin.
Einer der Buben, er wird im Bericht Marian genannt, hätte eingeklemmt zwischen neben zwei Männern sitzen müssen. Einer schreit Marian an, er drücke ihn an sich, schüttet Wasser in ein Schnapsglas. Marian will nicht. Er will nicht, dass Leute glauben, er trinke Alkohol. Der andere Mann sitzt dicht an ihn gedrängt. "Berührt ihn am Rücken. Streichelt ihm mit der Hand über den Unterarm." Die Kamera läuft. Zehn Minuten. Marian ist das unangenehm. Drei Jahre später erzählte er: "Es hat sich echt angefühlt." Marians Vater ist Alkoholiker. Einer der Mitarbeiter erzählte dem "Spiegel": "Und dass der Seidl genau weiß, wie man den Marian triggern kann und wie man zu dem Ergebnis kommt, dass es irgendwie emotional wird."
Damit Szenen wie diese nicht abgebrochen wurde, soll eine Mitarbeiterin gesagt haben: "Nur noch ein bisschen, dann darfst du nach Hause gehen". Auch zu körperliche Übergriffen soll es am Set gekommen sei. "So beobachteten zwei Mitarbeiter, dass ein Junge bei einer Szene vor der Schule sein Shirt ausziehen sollte. Doch er habe das nicht gewollt und sich gewehrt. Die Regieassistentin habe dem Jungen das Hemd am Ende weggerissen", ist im "Spiegel" zu lesen.
Die Stellungnahme
Der Filmemacher erklärt sich in einem schriftlichen Statement und weist mit seinem Anwalt alle Vorwürfe zurück: Im publizierten Artikel werden "unzutreffende Darstellungen, Gerüchte oder aus dem Kontext gerissene Vorkommnisse am Set" zu einem in keiner Weise den Tatsachen entsprechenden Zerrbild montiert, heißt es. "Im Fall von 'Sparta' erstreckten sich die Dreharbeiten über mehr als ein Jahr. Hätten die Eltern, wie der 'Spiegel' behauptet, Einwände gegen die Drehabläufe oder die Art, wie wir mit ihren Kindern umgegangen sind, gehabt, oder hätten sich die Kinder mit uns nicht wohlgefühlt, wären sie wohl nicht über diesen langen Zeitraum in den Etappen eines Winter- und Sommerdrehs dabeigeblieben."
Über die Arbeit am Set und der Anwesenheit von Kameras sagte er: "Wie alle anderen Darsteller wurden selbstverständlich auch die Kinder und Jugendliche von mir niemals gedrängt, vor der Kamera Dinge zu tun, die sie nicht tun wollten." Die Darstellenden hätten Ruhe- und Spielräume am Set zur Verfügung gehabt und wären in der Zeit zwischen Drehs "von pädagogisch geschultem Personal" betreut gewesen.
Und Ulrich Seidl stellte klar: "Es ist kein Kind nackt oder in einer sexualisierten Situation, Pose oder Kontext gedreht worden. Solche Szenen waren niemals meine Intention und wurden auch nicht gedreht. Nie haben wir beim Dreh die Grenzen des ethisch und moralisch Gebotenen überschritten. Einige Tage nach Drehschluss im Sommer 2019 habe ich alle Kinder und deren Eltern zu Hause besucht, um mich für ihre Beteiligung am Film zu bedanken. Niemand hat eine Beschwerde, ein Unbehagen oder einen Vorwurf geäußert." Einen Intimitätskoordinator hatte man nicht engagiert. Begründung der Produktion gegenüber der Kleinen Zeitung: "Einen Intimitätscoach gab es nicht, da keine Szenen im Zusammenhang mit Sexualität mit Kindern gedreht wurden: Es gibt im ganzen Film keine pornografischen oder pädophilen Szenen. Es wurden auch nie solche gedreht."
Zum Filmemacher
"Sparta" ist das Bruderstück von Seidls im Vorjahr bei der Diagonale ausgezeichnetem Film "Rimini". Und dieses hätte nächste Woche im Rahmen des Filmfestivals in Toronto seine Uraufführung feiern und anschließend im Wettbewerb in San Sebastian laufen sollen. Ob das der Fall ist, oder ob "Sparta" von den Festivals wieder ausgeladen wird, steht aktuell noch nicht fest. Offiziell zu sehen war der Film noch nicht. Auch die Journalisten des "Spiegel" dürften den Film nicht gesehen haben, sie beziehen sich auf das Drehbuch.
Als Filmemacher und Produzent hat Ulrich Seidl schon oft an Tabus gerüttelt und menschliche Abgründe ausgeleuchtet. Seine Arbeitsweise gilt innerhalb der österreichischen Filmszene als extrem: Werke wie "Hundstage" (2001), "Import Export" (2007), "Paradies: Liebe" (2012), "Safari" (2016) feierten ihre Weltpremieren auf den großen Festivals von Venedig oder Cannes, wurden von Jurys prämiert und von der Kritik auch wegen ihrer Authentizität und dem Naheverhältnis zur Wirklichkeit gefeiert. Auch, weil sie Tabus wie Sexarbeit, religiösen Fanatismus, Jagdtourismus, Obsessionen in heimischen Kellern schmerzvoll ausleuchten. Seidl scheute sich noch nie, den Finger auf offene Wunden der Gesellschaft zu legen: mit saftigen Bildern, echten Körpern, Laiendarstellerinnen und -darstellern, mit mitleidloser Kamera und expliziten Sexszenen. Seine Spezialität: Außenseiterinnen und Außenseiter in tristen Milieus.
"Die Essenz meines Filmemachens sind improvisierte Szenen. Das müssen sie können, denn sie bekommen weder Text noch Dialoge", sagte Seidl im Vorjahr im Interview zur Kleinen Zeitung über die Schauspielerinnen und Schauspieler, mit denen er arbeitet.
Der Film wurde u.a. vom ORF, von Arte, dem Bayerischen Rundfunk vom Österreichischen Filminstitut, vom Filmfonds Wien, dem Filmstandort Austro, dem Land Niederösterreich und anderen finanziert. Produziert wurde er von der Ulrich Seidl Filmproduktion in Koproduktion mit der deutschen Essential Film und der französischen Societe Parisienne de Production. Die Vorwürfe, betonte man beim ORF, würde man sehr ernst nehmen. Ein Kinostart ist für Frühling 2023 geplant.