Das Festival am Lido startete mit einer Katastrophe. Nicht Acqua alta, nicht Pandemie. Diese scheint trotz Maskenempfehlung im Saal und auf den Öffi-Booten in Venedig vergessen. Die Rede ist vom eigenwillig-komödiantischen Eröffnungsfilm "White Noise" von Noah Baumbach. Darin kollidiert ein Tanklaster mit einem Zug voller giftiger Chemikalien. Babette (Greta Gerwig) und Jack (Adam Driver) fliehen mit ihren vier Patchwork-Kindern Hals über Kopf.

In der Verfilmung des als unverfilmbar geltenden Romans von Don DeLillo ist die giftige Luft ebenso reale Bedrohung wie Metapher für den unvermeidlichen Tod. Jack ist gefeierter Professor für "Hitler Studies", kennt sich also mit menschengemachtem Tod aus. Er findet dabei auch akademische Gemeinsamkeiten mit seinem Kollegen Prof. Siskind (Don Cheadle), ein Elvis-Forscher, der gleich zu Beginn über den unerschütterlichen amerikanischen Optimismus doziert, der in filmischen Auto-Crashs steckt. Doch erst der reale Unfall reißt Jack aus seiner intellektuellen Vorstadt-Familien-Idylle. Babette dagegen kämpft schon länger mit der existentiellen Angst vor der Sterblichkeit und verbirgt ein Geheimnis vor ihrer Familie. Spätestens, als sie auf den verrückten Pharmazeuten Arlo Shell (Lars Eidinger mit herunter gelassenen Hosen) und auf eine atheistische Nonne (Barbara Sukowa) treffen, müssen sie dem Ende ins Auge sehen.


Noah Baumbach ("Marriage Story") inszeniert seine dunkle, bissig-satirische Komödie "White Noise" zugleich sehr textlastig, voll literarisch-übersteigerter Dialoge und filmisch stark. Mit Referenzen auf Katastrophenfilme und farbig-opulente Nostalgie der frühen 1980er konstruiert er eine bitterböse Farce, die über weite Strecken intellektuell fordernd unterhält. Zudem entwickeln die Themen um Katastrophen, Konsum, Angstlust und Tod aktuell wieder ordentlich Resonanz. 

Der Streamingdienst Netflix bringt den Film bereits im Dezember heraus; über einen etwaigen Kinostart davor ist noch nichts bekannt. Chancen auf einen der venezianischen Löwen hat "White Noise" allemal. Und eines gilt als sicher: Der (nicht-existente) Preis für die beste Abspann-Sequenz - ein Tanz zum Sound von LCD Soundsystem - ist dem Streifen nicht zu nehmen.