"Die Romane erzählen von Menschen, die etwas zu verbergen haben, von kollektiven Störfällen und den allzu glatten Schuldzuweisungen, mit denen wir uns zu beruhigen suchen.“ Ein Satz aus der Laudatio anlässlich der Verleihung des Thomas-Mann-Preises 2021 an Norbert Gstrein.

Von Störfällen aller Art handelt auch sein neuer Roman „Vier Tage, drei Nächte“, in dem es um die vertrackte Liebesbeziehung zwischen dem Geschwisterpaar Ines und Elias geht. Zeitlich eingebettet hat Gstrein diese ebenso verstörende wie zärtliche Amour fou in die Unsicherheit und Ratlosigkeit der Coronalockdowns, wobei es an konkreten (und auch autobiografischen) Anspielungen nicht fehlt. So ist etwa der Vater der Geschwister ein ignoranter Tiroler Hotelier, der einen Viren-Hotspot verschuldet und nach einer Südafrikareise eine neue Variante nach Österreich importiert.

Ein Vater, zwei Mütter, eigentlich sind Ines und Elias Halbgeschwister, aber einander bereits seit Jugendtagen ganz verfallen. Ines reagiert darauf wechselhaft mit Panikattacken und Aggression, Elias hingegen verbrüdert sich mit den Ex-Liebhabern der Schwester und übernimmt sie aus deren Konkursmasse. „Es gehört zu meinem Verständnis von Freiheit, das Falsche zu tun“, sagt Elias an einer Stelle – und macht ausgiebig Gebrauch davon.

Einmal mehr hat Norbert Gstrein einen großen, lösungsoffenen Roman geschrieben, in dem er im elegant-soghaften Duktus ein raffiniertes, zwischendurch etwas zu elaboriertes Kammerspiel inszeniert. Es geht um Sehnsucht und Verlangen, und eine Passage über die Literaturwissenschaftlerin Ines lässt sich gut auf den Literaten Gstrein anwenden: „Sie hasste es, wenn Figuren einem Erklärungsschema unterworfen sind, als würde sich mit drei, vier Begründungen immer alles in Wohlgefallen auflösen.“

Aus der Zweierkonstellation wird durch Carl, den Liebhaber von Elias, eine unauflösbare Ménage-à-trois, die auf einer Metaebene dadurch eskaliert, dass Ines einen Roman mit dem Titel „Drei Arten, ein Rassist zu sein“ schreibt. Womit wir bei den „glatten Schuldzuweisungen“ wären und beim treffsicheren Gstrein-Diktum über die latente Störanfälligkeit des Menschen. Wohlgefallen? Weit gefehlt!

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Buchtipp: Norbert Gstrein. Vier Tage, drei Nächte.
Hanser, 349 Seiten, 26,80 Euro.