Herman Heijermans starb 1924: Er gilt als bedeutendster Vertreter des Naturalismus in den Niederlanden, ist bei uns jedoch kaum bekannt. Durch Ihre Übersetzung ist eine Neuentdeckung möglich, wie kam es dazu?
FERRI LEBERL: Dass ältere Autoren übersetzt werden, kommt vor. Heijermans würde ich als im deutschen Sprachraum vergessen bezeichnen. Möglicherweise habe ich eine Wiederentdeckung angestoßen.
Heijermans Roman „Duczika“ spielt am Vorabend des Ersten Weltkrieges in Berlin, wie zeitintensiv war es, zeitspezifische Wörter zu recherchieren?
Manchmal kommt man locker weiter, manchmal ist man lange beschäftigt. Heijermans verwendete eine verschachtelte Sprache, auch einen für die damalige Zeit breiten Wortschatz. So gab es ein Wort, das ich durch Zufall in einem Französischwörterbuch fand: „fredonerend“, das ich auf „fredonner“ (dt., summen) zurückführte.
Wenn Sie mit einer Übersetzung beginnen, wie gehen Sie vor?
Zuerst lese ich das Buch, dann mache ich relativ schnell eine Rohübersetzung. Danach feile ich in mehreren Stufen an dem Text und fühle und denke mich in die Geschichte hinein. Es ist ein Prozess in Stufen.
Die Titelheldin Duczika, die in Heimarbeit Konfektionsware näht, wird immer wieder von Männern belästigt. Der Roman von 1912 thematisiert damit ein derzeit breit diskutiertes gesellschaftliches Problem.
Das war eine interessante Koinzidenz. Einerseits gibt Heijermans dem Thema erstaunlich viel Raum für die damalige Zeit, hat aber ein sehr archaisches Frauenbild. Seine Empörung resultiert daraus, dass er das aus seiner Sicht schwache Geschlecht als schutzbefohlen sieht.