Es ist ein bekanntes Problem in der europäischen Medienlandschaft: Es fehlt an weiblichen Stimmen in der politischen Berichterstattung. Während sich bisherige Studien diesem Problem vor allem auf inhaltlicher Ebene angenähert haben, beschäftigten sich Wiener Forscher nun vor allem mit den Faktoren, die zur Unterrepräsentation führen. Dabei zeigte sich, dass Genderguidelines wenig Effekt zeitigen, Zeitmangel sowie bestehende Netzwerke aber eine große Rolle spielen.
Das Forschungsteam der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat sich für die in der Fachzeitschrift "Journalism and Mass Communication Quarterly" veröffentlichte Studie grundsätzlich auf drei Ebenen konzentriert. "Wir haben uns die journalistische Kultur, die Redaktionen als organisationale Einheit und die Journalistinnen und Journalisten als Individuen angesehen und uns die Frage gestellt, was beim Zusammenspiel dieser drei Ebenen wirklich entscheidend ist. Bei den journalistischen Strukturen gibt es durchaus Unterschiede, welches Rollenverständnis Journalistinnen und Journalisten haben, und diese Rolle wirkt sich auch auf die Repräsentanz von Frauen aus, unabhängig vom eigenen Geschlecht", so Andreas Riedl vom Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung im Interview mit der APA.
Auf der Organisationsebene hat man sich vor allem mit dem Effekt von Genderguidelines und -policies beschäftigt. "Das haben mittlerweile sehr viele Redaktionen und obwohl man da ja eigentlich erwarten würde, dass die Frauen auch in einem höheren Maß vorkommen, haben wir diesen Effekt nicht gefunden", so Riedl.
Außerdem befasste man sich in der von der Stadt Wien geförderten Arbeit mit der Genderidentität. Im Gegensatz zu bestehenden Studien fokussierte sich das Team vom Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der ÖAW hier vor allem auf Befragungen von Autorinnen und Autoren, mit denen rund zwei Dutzend Tiefeninterviews geführt wurden, um die Entstehung der Berichte zu rekonstruieren. Über 3500 politische Beiträge verschiedener reichweitenstarker österreichischer Medien wurden außerdem analysiert.
68 Prozent sind Männer am Wort
"In lediglich 25 Prozent der Beiträge kommen Frauen mit einer Meinung oder Einschätzung vor, während Männer in 68 Prozent zu Wort kommen. Nur durch die Unterrepräsentation von Frauen in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen lässt sich dieser eklatante Unterschied nicht erklären", so Riedl. Ein großes Problem seien vor allem über lange Zeit gewachsene Quellennetzwerke. Oft werden aus Zeitmangel Personen angerufen, die bereits bekannt sind und welche die Sicherheit geben, inhaltlich und qualitativ verlässlich zu sein. "Bei Männern sind das verstärkt Männer. Oft herrscht auch der Glaube, dass Expertinnen schlechter erreichbar seien, weil sie beispielsweise nebenbei noch sogenannte Care-Arbeiten leisten oder auch zögerlicher reagieren als die Kollegen", erklärte Riedl.
Ein paar Ergebnisse hätten Riedl und sein Team dann tatsächlich anders eingeschätzt, beispielsweise den Effekt der eigenen Genderidentität. "Wenn man sich die journalistische Nachrichtenproduktion ansieht, dann sind das wirklich hoch routinierte und institutionalisierte Abläufe. Es gibt ein Thema, das bearbeitet wird, und man geht immer davon aus, dass die einzelne Person gar nicht mehr so viel Einfluss darauf hat, sondern dass es die organisationalen Faktoren sind. Trotzdem finden wir hier einen Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen, und das ist durchaus überraschend, denn wenn man argumentiert, die Leute hätten nicht die Autonomie, die Zeit oder gar die Möglichkeiten, individuelle Schwerpunkte zu setzen, dann ist der Befund schon erstaunlich, dass die Genderidentität trotzdem noch Einfluss hat", sagte Riedl und betont, dass es nun die Aufgabe folgender Forschung wäre herauszufinden, woran dies liegt.
Fehlendes Bewusstsein
Auch der verhältnismäßig geringe Effekt der Genderguidelines ist ein Anknüpfungspunkt, der weiter erforscht werden sollte. Erste Hinweise findet Riedl auch schon in der aktuellen Studie: "Die Guidelines werden oft zu produktionsseitig interpretiert. Es wird zum Beispiel drauf geachtet, dass Kommentatorinnen gleichermaßen vorkommen. Aber auf die Inhalte, also welche Frauen lassen wir wirklich in meiner Berichterstattung zu Wort kommen, wird irgendwie weniger stark gedacht. Da fehlt noch das genauere Bewusstsein."