Den Autor auf offener Bühne mit seinen Figuren ringen zu lassen, war ein kühner Verfremdungseffekt lange vor dessen Erfindung. Die armrudernden Interventionen des Dichters Prosdocimo brechen die Handlung des schlichten Dramas, wie die Landung des Türken Selim in Neapel das ramponierte Eheleben Geronimos, Fiorillas und ihres Geliebten Narciso durcheinanderwürfelt. Die mit ihrem Greisengatten unzufriedene Frau verliebt sich flott in den Exoten, was sie mit dessen entflohener Haremsdame, der Zigeunerin Zaida, gemeinsam hat: "Un bel turco, avviciniamoci", singen die Damen: ein schöner Türke, nichts wie hin. Die erwartbaren Verwirrungen bleiben nicht lange aus.
Rossini und sein Librettist Felice Romani nutzen platte Klischees, um daraus Witz zu schlagen. Ihr Spiel mit den Schablonen von Ehekalamitäten und vom Kampf der Zivilisationen verspottet verfestigte Denkmuster. Jean-Louis Grindas feinfühlige Regie verhindert den Absturz in die Banalität. In poetischen Märchenbildern, die Rudy Sabounghi auf die Bühne zaubert, lässt Grinda der Spiellust seines illustren Ensembles in den absurd prunkvollen Kostümen Jorge Jaras freien Lauf.
Natürlicher Mittelpunkt des Abends ist die Primadonna: Cecilia Bartoli (ein Interview mit ihr lesen Sie hier) veredelt als Fiorilla jede Nuance des Werbens, Keifens und Verzweifelns zu Koloratur. Ihre Partner stehen ihr nicht nach: Ildebrando D’Arcangelo ist ein urkomischer Macho-Selim, der seine Stimmgewalt ironisch einzusetzen weiß. Melancholisch witzig Nicola Alaimo in der traurigen Gestalt des gehörnten Ehemanns Geronimo. Maria José Lo Monaco ersingt sich ihren Selim. Ob sie mit ihm selig wird, scheint so unwahrscheinlich wie das Eheglück des wiederversöhnten Paares Geronimo/Fiorilla.
Lediglich ein rostiges Hornsolo zu Beginn trübte das Spiel der Musiciens du Prince – Monaco. Kontrastreich knusprig lässt Gianluca Capuano am Pult Rossinis wunderbares Uhrwerk abschnurren. Der Jubel wollte kein Ende nehmen.
Wiederholung am 5. Juli in der (ausverkauften) Staatsoper
Thomas Götz