Ein Foto ruft sich in Erinnerung. Zu sehen ist Andreas Unterweger bei einem Sprung ins Wasser, kopfüber, wie in einem unendlichen Raum schwebend. Aber das Foto ist eine Täuschung mit verdrehter Perspektive. Das passt, das sitzt. Kopfüber, Erinnerung, freie Räume, Täuschungen – all das sind Begriffe, halbwegs zweckdienlich, um das erzählerische Furioso zu benennen, das Unterwegers neuen Roman "So long, Annemarie" bietet.

Stets hat sich dieser Virtuose der verdrehten oder verkehrten Weltbetrachtungen dem konventionellen, linearen Erzählen widersetzt, nie zuvor tat er es so konsequent, so verblüffend. Gewiss doch, es gibt ein Handlungsgerüst, aber es ist völlig schräg, fragil, durchlässig für alle Einfälle und Einschübe, die bei diesem Assoziationsbündel scharenweise des Weges kommen. Zu finden in diesem Konstrukt sind Dani und Annemarie, zentrale Figuren einer Liebesgeschichte, der ersten großen ihres Lebens, die nach rund drei Jahren endete. Dani, der Ich-Erzähler, 20 Jahre alt, wechselt bald nach der Trennung ein Jahr lang an die Uni von Nantes. Dort möchte er sich auch von den letzten Trennungsschmerzen verabschieden. Mit einer hohen Dosis Selbstmitleid.
Erzählt wird all dies in einem Rückblick, 20 Jahre später. Ein rasantes, schwindelerregendes, fragmentarisches Spiel der Erinnerungen hebt an. Die Story beginnt im September 2001, wenige Tage vor 9/11. Vielen Autoren würde man dies übel nehmen, weil: plump. Unterweger bzw. sein Alter Ego schenken dem Anschlag kaum Beachtung. Dani irrt mit seiner Kamera, seinem Notizbuch und einer unsichtbaren Riesenmaus auf der Schulter ziellos herum und muss mit der Tatsache klarkommen, dass Nantes gar nicht am Meer liegt.

Fakt ist: Dieser Autor lotet die Grenzen des Schreibens aus, Zeit und Raum haben dienstfrei. Andreas Unterweger verwandelt Absurdes durch Erzählmagie in Realität. Beckett, Rimbaud, Verlaine, Handke, Houellebecq und andere stehen Spalier, die Musik der damaligen Zeit verstärkt den Sprachrhythmus dieses listigen, vielschichtigen und liebenswerten Werkes; es nimmt einen Sonderplatz in der zeitgemäßen Literaturlandschaft ein – unübersehbar.

Andreas Unterweger. So long, Annemarie. Droschl, 280 Seiten, 24 Euro.

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