#MeToo-Debatte

Arash T. Riahi:Mich hat diese aktuelle Flut an Meldungen in dem Sinne überrascht, dass ich dachte, #MeToo ist schon lange auch bei uns angekommen und es gibt bereits Anlaufstellen für Betroffene, die das auch nützen. Aber scheinbar scheitert eine wahre Aufklärung der Fälle an der Schweigekultur, die hier herrscht.

Verena Altenberger: Als erste Institution in Österreich hat die Akademie des österreichischen Films eine Beschwerdestelle gegen sexualisierten Machtmissbrauch eingerichtet, die ist mittlerweile in die ausgelagerte Stelle „we_do“ übergegangen. Wenn Arash Sagt, #MeToo sei bei uns schon angekommen, dann kann ich mir ein bitteres Lachen fast nicht verkneifen. Ich kenne keine Kollegin, der noch nie irgendetwas „Blödes“ passiert ist. Und ich kenne auch keine Kollegin, die bisher offen darüber geredet hat. Also: Wo ist #MeToo bei uns angekommen?

Konkrete Maßnahmen

Verena Altenberger: Arbeitssicherheitsgespräche vor Beginn von Produktionen sind üblich. Man könnte einfach zwei Stunden dranhängen und über sexualisierten Machtmissbrauch reden. Was sind sensible Situationen? Wo herrschen Machtgefälle, die besondere Vorsicht erfordern? und darüber, was das für eine Signalwirkung hat, wenn man sich viel berührt. Wir müssen ein Bewusstsein dafür haben, dass sich vielleicht nicht jede und jeder dabei wohlfühlt.

Nacktszenen

Verena Altenberger: Intimicy-Koordination muss selbstverständlich werden. Wenn ich meinem Kollegen eine Watsche gebe, haben wir eine halbe Stunde Stuntprobe dafür. Aber wenn z.B. in einem Drehbuch steht: „Er nimmt sie hart von hinten.“ Dann sagt die Regie: „Ja, mach mal!“ Und es wird nicht sachlich darüber geredet und choreografiert. Wie eine Schlägerei muss auch eine Sex-, Liebes- oder Vergewaltigungsszene selbstverständlich choreografiert werden.

Freigaberecht

Verena Altenberger: Man könnte auch von Produktionsseite aus Schauspieler*innen Freigaberechte anbieten für Szenen, in denen sie oben ohne, nackt oder bei sexuellen Darstellungen zu sehen sind. Oder proaktiv in den Vertrag schreiben, dass der Busen nur 2,5 Sekunden von vorne zu sehen ist, dass es ein Closed Set ist, Handyverbot herrscht, usw. Und alle fühlen sich sicher. Es ist ein Missverständnis, dass nur Entgrenzung zu Grenzenlosigkeit führt.

Arash T. Riahi: Von Produktionsseite aus werden wir künftig neben der normalen Dispo auch so etwas wie einen „Behaviour Rider“ mit allen No Gos vor Drehbeginn zur Dispo dazugeben und proaktiv klar machen, dass diese Dinge nicht gehen und auch rechtlich geahndet werden.

Filmemacher, Produzenten, Brüder: Arash und Arman. T. Riahi
Filmemacher, Produzenten, Brüder: Arash und Arman. T. Riahi © Juergen Fuchs

Ausbildung

Verena Altenberger: Ich weiß nicht, warum wir nie ein Fach oder einen Workshop zu sexualisiertem Machtmissbrauch auf der Schauspieluni hatten, obwohl alle wissen, was auf Schauspieler*innen am Arbeitsmarkt zukommt.

Vertrauenspersonen

Verena Altenberger: Es braucht Vertrauenspersonen inner- und außerhalb der Produktion. Das ist mittlerweile sehr oft auf der Dispo zu lesen. Aber es muss auch eine Person sein, die greifbar ist und Konsequenzen ziehen kann – keine zahnlosen Tiger.

Gender Budgeting

Verena Altenberger: Ein starkes Argument pro Quote war für mich immer schon der Kamineffekt, den sie vermittelt. Wenn ich als Kind in Dorfgastein aufwachse und vom Film träume und dabei keinen einzigen Beruf in der Branche kenne, komme ich gar nicht auf die Idee, dass ich das sein könnte. Und wenn ich noch nie eine Frau in einem Beruf im Fernsehen oder in der Zeitung gesehen habe, wird das schwierig. Vorbilder ermöglichen Mädchen einen diverseren Blick auf ihre eigenen Karrieremöglichkeiten.

Arash T. Riahi: Es ist gut, dass es die Quote gibt. Und dennoch ist es auch ein Armutszeugnis, dass es eine braucht, weil die Gesellschaft es nicht geschafft hat, dieses Problem organisch und aus dem Inneren heraus zu lösen. Quote ist immer nur die Spitze des Eisbergs. Der Diskurs darüber hat auch mir als Feminist weiter die Augen geöffnet und die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, welche Werte und Bilder ich schon bei den kleinsten Kleinigkeiten vermittle. Bei meinem letzten Film „Ein bisschen bleiben wir noch“ gab es u.a. eine Skateboard-Szene vor einer Schule. Und wir haben uns gezielt für ein Mädchen auf einem Skateboard entschieden. Oder im Jugendamt schiebt ein Bub einen Einkaufswagen und nicht ein Mädchen. Mini-Details, aber wichtig. Mini-Details, aber wichtig.

Verena Altenberger: Das sind keine Mini-Details! Man kann in Filmen so viele wertvolle Statements setzen. Ich habe in meinem Schauspielerinnen-Leben vielleicht 30 Beziehungen gespielt. Davon war es bei mindestens 20 Männern ganz normal, dass sie acht bis 18 Jahre älter waren, ohne dass es inhaltlich thematisiert wurde. Ich habe irgendwann begonnen, mir gleichaltrige Männer zu wünschen, wenn es inhaltlich Sinn macht oder egal ist. Und es ist erstaunlich, wie oft ich dafür noch kämpfen muss.

Status Quo des Österreichischen Films

Arash T. Riahi: Für mich ist der österreichische Film absolute Weltklasse. Und ich wundere mich immer, warum er daheim ein Problem hat. Die internationale Achtung und Hochachtung sind unglaublich. Ich sehe es als Aufgabe, diese Diskrepanz zwischen Aus- und Inland überbrücken. Anders als in Frankreich wird dem österreichischen Kino hierzulande keine große kulturelle Wichtigkeit wie der Musik z.B. beigemessen.

Verena Altenberger: Weltmarke ist ein wichtiges Schlagwort. Ich finde den österreichischen Film sehr mutig, viel mutiger als anderswo. Er ist spezialisiert auf den Menschen, erzählt interessante Geschichten, die den Menschen in seinem Menschsein tief durchschauen; ist dabei lustig und abgründig.

Wirtschaftskraft

Verena Altenberger: Die Filmbranche erwirtschaftet 2,6 Milliarden Jahresumsatz, da hängen zehntausende Jobs dran. Jetzt haben wir gerade den Fall, dass die Gelder eines Fördertopfes erschöpft sind. Wenn in Hintertupfing ein Unternehmen dieser Wirtschaftskraft vor dem Aus steht, würde sich doch jeder Politiker die Rettung auf die Fahnen schreiben wollen. Beim Film ist es nicht so. Auch wenn das Geld dreifach zurückkommt. Es geht nicht nur um kreative Berufe, sondern auch um Köch*innen, Fahrer*innen, Elektriker*innen etc. Wir sind wichtig – auch für den Tourismus.

Schauspielerin, Feministin, Buhlschaft in Salzburg: Verena Altenberger
Schauspielerin, Feministin, Buhlschaft in Salzburg: Verena Altenberger © BARBARA GINDL / APA / picturedes

Arash T. Riahi: Der Mehrwert eines österreichischen Films für das Ausland ist enorm. Wenn ein Film international erfolgreich ist, reist er zwei Jahre an verschiedenste Orte, ist in 100 Städten auf der ganzen Welt zu sehen. Das ist ein unschätzbarer Wert. Es ist traurig, dass wir immer so viel kämpfen müssen, um mehr Geld. Die paar Millionen Euro, die wir gerne mehr hätten, sind im Vergleich zu anderen Branchen lächerlich.

Schulfach Film und Medien

Arash T. Riahi: Ein Bemühen der Akademie ist es, ein Fach wie "Medienunterricht“ an den Schulen zu installieren, wo man Filmgeschichte aber auch den kritischen Umgang mit Bildern, ethischen Fragen und Wahrheiten sowie Fake News lernt.

Generationenwechsel im österreichischen Film

Arash T. Riahi: Ich sehe mich als Bindeglied zwischen neuer und älterer Generation. Ich war schon dabei, als sich der Produzentenverband in zwei aufgeteilt hatte, jetzt gibt es einen dritten, wo ich dabei bin. Immer, wenn Intransparenz und der Egoismus Einzelner anstelle des Gemeinwohls aller über Hand nimmt, gibt es einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Ich glaube, dass wir jetzt an so einem Punkt sind.