Total unpassender Vergleich: Florian Köhler ist mit seinem „Macbeth“ länger schwanger gegangen als eine Elefantenkuh mit ihrem Kalb. Letzteres ist nach 22 Monaten ausgereift. Die Grazer „Macbeth“-Premiere, inszeniert von Stephan Rottkamp, war ursprünglich im März 2020 angesetzt. Heute findet sie endlich statt, 26 Monate später als geplant.
Die Rolle ist ein programmierter Höhepunkt in der Karriere von Florian Köhler. Er ist 37, im richtigen Alter für den Macbeth. Am Beispiel des schottischen Feldherrn, der als Mid-Career-Move seinen König massakriert, um sich selbst die Krone aufzusetzen, erzählt Shakespeare eine Geschichte von Mordlust und Hexenzauber, von Skrupellosigkeit, Verführbarkeit, übersteigerter Ambition und den Abgründen der Schuld. Seit Jahrhunderten gilt die Figur, und mit ihm das Stück, als so unheimlich und sogar fluchbeladen, dass Theaterleute im angelsächsischen Raum seinen Namen lieber nicht aussprechen: „the scottish play“, das schottische Stück, nennt man es da. Und auch Köhler nennt Macbeth nur „den Schotten“, wenn er über ihn spricht. Ein bisschen guter alter Theateraberglaube steht einem nach Pandemiezwangspause und fünf Premierenverschiebungen wohl zu, gerade auch bei einer Figur, die am Ende alles verliert, die Ehefrau, die Macht, das Leben: „Da begreift der Schotte, dass er ein kleiner Fliegenschiss im Universum ist, ein Schatten inmitten eines großen Nichts“, sagt Köhler.
Er hat in dem Stück bereits einmal gespielt: Banquo, den Freund, den Macbeth meucheln lässt und der ihm als Geist erscheint. Das war 2009, in seinem ersten Grazer Jahr. Und er ist noch immer da. Im Theaterbetrieb ist das längst ungewöhnlich: Ein Schauspieler, frisch von der Schule (Reinhardt-Seminar), der derart lange an seinem ersten Haus verbleibt. Geholt hat ihn Anna Badora. Erst einmal für kleine Rollen in kleinen Stücken; Ego-Bremse für einen jungen, ehrgeizigen Mimen. Andererseits: So konnte er im Ensemble wachsen. Badoras Nachfolgerin Iris Laufenberg erkannte sein tatsächliches Potenzial, übertrug ihm alsbald „die schweren, tollen, großen Rollen“, darunter die Titelrolle in Werner Schwabs „Faust::Mein Brustkorb:Mein Helm“. „Da habe ich“, sagt Köhler, „das erste Mal gemerkt, dass ich ein solches Text-Gebirge tragen kann.“
Es folgten Stücke wie „Der Zauberberg“, „Vernon Subutex“ und natürlich „Heldenplatz“, in dem sich Köhler als Frau Zittel 2020 eine Nestroy-Nominierung erspielte. Nicht nur deswegen nimmt er im Ensemble längst eine Alpha-Stellung ein. Sprachliche Virtuosität, Bühnenpräsenz, Knetgummi-Mimik: In seinen besten Rollen bändigt Köhler das zu mitreißend charismatischen, expressiven Performances. Die sind harte Arbeit: „Ich muss den Text gedacht bekommen, die inneren Bilder scharfkriegen, die Figur, ihre Beweggründe und Gedanken verstehen. Egal wie kompliziert das ist“, sagt er. „Ohne das scharf und genau zu denken, spiele ich nur etwas vor. Erst wenn ich es geknackt habe, kann ich es wirklich herzeigen.“
Den Text vom Papier in den Körper zu bekommen: Tatsächlich gibt es da ein Erweckungserlebnis in seiner Biografie. Köhler, in Göttingen geboren, im obersteirischen Trieben aufgewachsen, bereitete sich in seiner Wiener WG auf ein Studium an der Akademie der bildenden Künste vor. Als ihn sein Mitbewohner und späterer Grazer Ensemblekollege Claudius Körber, Student am Reinhardt-Seminar, um Text-Abfrage bat, „haben sich auf einmal die Buchstaben vom Papier gelöst und sind aus meinem Mund in eine Situation übergegangen.“
Das Grafikstudium war damit Geschichte, Köhler spielte Impro-Theater bei Karl Wozek, las jeden Tag ein Reclam-Heft aus, sah sich, „völlig besessen“, täglich ein neues Stück an und drängte sich an Burg- und Volkstheater in eine Statistenrolle nach der anderen – bei Regiestars wie Breth und Ku(s)ej, aber auch, um sich die Spielstile der Bühnenstars näher anzusehen: „Wie machen es Beglau, Moretti, Maertens, Bechtolf, Kirchner?“ Wie es Köhler macht, erlebt das Grazer Publikum seit nun 13 Jahren. Übernächste Saison wechselt Intendantin Laufenberg nach Berlin. Ob Köhler, seine Ehefrau und seine drei Söhne ihr folgen, lässt er noch offen: Er könne sich zwar vorstellen, in Berlin zu spielen, sagt er, „aber Graz ist eine wunderbare Stadt. Und momentan ist alles noch Spekulation.“
Ute Baumhackl