"Nature Writing", also die literarische Verarbeitung des suizidalen Schindluders, das wir Menschen mit der Tier- und Pflanzenwelt betreiben, erlebt gerade einen Boom – naturgemäß mit Wildwüchsen und Unkrautalarm in den Verkaufsregalen.
Eine Autorin, die Anteilnahme und Anspruch aufs Feinste verbindet, ist die Australierin Charlotte McConaghy, die bereits mit ihrem Debüt "Zugvögel" einen buchstäblich vielfach ausgezeichneten Bestseller landete. Nach den Vögeln ist jetzt ein mythenumranktes Wesen am Zug, das zuletzt auch bei uns für teilweise haarsträubende Diskussionen gesorgt hat. "Wo die Wölfe sind" heißt der neue Roman von McConaghy, und er beginnt mit diesem Satz: "Wir waren acht Jahre alt, da schnitt mein Vater mich auf, von der Kehle bis zum Bauch."
Nun, dieser Vater ist kein irrer Kinderkiller, vielmehr leidet Tochter Inti – die Erzählerin – an der Mirror-Touch-Synästhesie; das heißt, sie fühlt am eigenen Körper das, was einem anderen Lebewesen widerfährt. In diesem Fall das Aufschlitzen eines toten Hasen durch den Vater. Die Empfindsamkeit – das Zuviel oder in den meisten Fällen eher Zuwenig davon – zieht sich wie ein grüner Faden durch die dichten Wortwälder dieses sowohl umweltpolitisch als auch literarisch engagierten Romans.
Inti, sie ist inzwischen Biologin, leitet ein Projekt, in dem Wölfe im schottischen Hochland angesiedelt werden. Nicht nur der Artenschutz ist das Ziel, vielmehr soll das Ökosystem, das sich im schweren Krisenmodus befindet, wieder ausbalanciert werden. Ein schwieriges Unterfangen, zumal die Einheimischen mit dem "Wolfsmädchen" nicht die geringste Freude haben.
Keine Bestien in der Wildnis
Geschickt verwebt McConaghy eine düstere Kriminal- und traumatische Familiengeschichte in die Handlung. Ein Farmer wird tot aufgefunden, und das Menschenrudel rund um Inti, vor allem die psychisch arg lädierte Schwester Aggie, ist ebenfalls schwer schutzbedürftig.
"Sie kennen sich doch bestimmt gut mit Bestien aus, Wolfsmädchen", höhnt an einer Stelle ein Einheimischer. "In der Wildnis bin ich noch keiner begegnet", gibt Inti zurück. Womit wir wieder bei Wölfen wären, aber nicht bei jenen aus der Tierwelt.
Buchtipp: Charlotte McConaghy. Wo die Wölfe sind.
S. Fischer, 430 Seiten, 22,70 Euro.