Die Art der Wahl des ORF-Stiftungsrats ist abscheulich. Sie verdichtet alle Schwächen eines Parteienstaates, der die Demokratie gefangen hält: Mauschelei, Machtpolitik statt Inhaltsfortschritt, Postenschacher. Dass dieses Gremium einerseits deshalb, andererseits trotzdem Lothar Lockl zu seinem Vorsitzenden wählt, ist aber ein Zeichen, dass die Mitglieder zumindest in Summe verstehen, dass es so nicht weitergehen kann. Denn sie haben ohne Gegenstimme einen gekürt, der die Schwächen des Systems kennt und sie auch benennt. Ungeachtet aller öffentlichen Schweige-Diplomatie im Vorfeld und Antwortverweigerung nach der Wahl wird Lockl diese Haltung nicht ändern. Er weiß, dass die größte Schwäche der ORF-Kontrolle darin besteht, sich einen Sitz darin leisten zu müssen. Das entspringt nicht nur dem Umstand, dass die Aufgabe – ernst genommen – zwar aufwändig, aber ein unbezahltes Ehrenamt ist. Insbesondere für einschlägige Experten entstehen daraus auch zahlreiche Unvereinbarkeiten. Darüber hinaus wirkt die zwangsläufige Zuordnung in eine Partei für viele geradezu rufschädigend. Letzteres hat den Grünen Lockl jedoch erst in diese Position gebracht, darf ihn also nicht bekümmern, ist aber Teil des Systems, das er verändern muss.
Kraft seiner Funktion hat er dazu keine Möglichkeiten. Die reale Macht des Vorsitzes ist heute so beschränkt wie selten zuvor. Denn die Mehrheit der ÖVP geht über die ihr offen zugeordneten Personen hinaus. Allerhöchstens für die zwei Drittel zu einer Abwahl des Generalintendanten benötigte sie Schützenhilfe ihres Koalitionspartners in der Bundesregierung. Die Macht des Stiftungsratsvorsitzenden besteht vor allem in seiner Möglichkeit der öffentlichen Präsenz. Wenn Lothar Lockl etwas zum Besseren verändern will, erhält er die größtmögliche Reichweite, die es in Österreich gibt. Sämtliche Massenmedien, voran die ORF-Information, wären seine Lautsprecher. Aus dieser Perspektive ist die nahezu einstimmige Wahl des neuen Chef-Aufpassers unseres (!) Milliarden-Unternehmens neben dem größtmöglichen Vertrauensvorschuss der maximale persönliche Veränderungsdruck für Lockl. Denn auch die Grünen haben sich – kaum in der Regierung – am unsäglichen ORF-Ränkespiel beteiligt.
Statt der traditionell hundert Tage Schonfrist für einen Neuen empfiehlt sich diesmal die Dauer einer Buchlektüre. Zur Auswahl stehen Ernst Blochs „Das Prinzip Hoffnung“ und Peter Handkes „Als das Wünschen noch geholfen hat“.