Wenn Tom Cruise (59) einen Film auf der großen Leinwand sehen will, dann begibt er sich auf Undercover-Mission. Dann setzt er sich ein Cap auf – und mitten rein ins Publikum. "Ich schaue die Trailer vorab, die Werbung, den Film, alles", erzählte der Hollywoodstar auf dem Filmfestival in Cannes. Reinschleichen musste er sich dort in Südfrankreich nicht in den Saal, schließlich stand er ohnehin hundertprozentig im Rampenlicht an diesem Tag: mit einer Masterclass, also einem längeren Interview vor Publikum, und der Vorführung von "Top Gun: Maverick", der auf dem Festival in Cannes zumindest seine Europa-Premiere feierte.
Gestern Abend gab es dann noch eine royale Premiere in London – die besten Bilder:
Die Weltpremiere von Teil 2 von Tony Scotts Kampfpiloten-Erfolgsaction von 1986 fand zwar kürzlich schon auf einem Flugzeugträger mit Helikopteranflug in den USA statt und schien kaum zu überbieten. Doch in Cannes liebt man das große, glamouröse, verschwenderische Spektakel ums Kino – und wollte es zu diesem Anlass zumindest auch ein bisschen krachen lassen. Zunächst schien auf dem roten Teppich, über den Cruise unter anderem mit Jennifer Connelly, Jon Hamm und Actionproduzenten-Urgestein Jerry Bruckheimer lief, noch alles wie bei anderen Cannes-Premieren auch: Fans, Autogramme, Aufmerksamkeitsgerangel der Fotografen, Blitzlichtgezucke.
Kampfjets am Himmel
Dann aber tauchten am Himmel ein paar Punkte auf, die zunehmend größer wurden. Acht Kampfjets! In Formation kamen sie angeflogen, rauschten über den Palais de Festival und hinterließen zu allem Überfluss auch noch Kondensstreifen in den französischen Nationalfarben. Kurze Zeit später stand Cruise im Premierensaal auf der Bühne und bekam – Überraschung! – noch vom künstlerischen Direktor Thierry Frémaux und dem scheidenden Cannes-Präsidenten Pierre Lescure die Goldene Ehren-Palme überreicht.
Ein langer Zusammenschnitt von Filmschnipseln fasste sein Schaffen zusammen. Viele Klassiker. Viele große Regisseure. Von "Rain Man" bis "Jerry Maguire". Von "Eyes Wide Shut" bis "Mission: Impossible". "Das ist mein Leben in zehn Minuten", hatte Cruise wenige Stunden bei der Masterclass gesagt. Der Rückblick führte auch vor Augen, was für eine spannende wie reiche Kinokarriere Cruise seit den 80ern hatte. Darüber nur etwas mehr als eine Stunde zu sprechen, müsste eigentlich unendlich viel zu kurz sein. Doch dieses Gespräch in Cannes entpuppte sich schnell als vertane Chance.
Es gab keinen aufregenden Einblick. Keine mutigen Fragen. Cruise wollte kaum aus dem reichen Fundus an Anekdoten schöpfen. Dass er als Kind bei seinem ersten Stunt mal mit einem Laken als Fallschirm vom Dach gesprungen ist, war da schon das Spannendste. Fragen zum Liebeslieben und zu Scientology waren ganz offensichtlich Tabu. Stattdessen berichtete der 59-Jährige in einer gebetsmühlenartigen Dauerschleife davon, wie wissensdurstig er das Kino studiert. Wie immer sehr glatt wirkte er dabei, und kontrolliert.
Ego-Show für Tom Cruise
Immerhin: Dass er weiß, wie unterhaltungsoptimiertes Blockbusterkino funktioniert, konnte man aktuell auch einmal mehr in "Top Gun: Maverick" sehen. Die Liebesgeschichte kann zwar nicht mit der im Vorgänger mithalten – auch Kelly McGillis wurde zu dieser Reunion gar nicht wieder eingeladen. Ansonsten aber ist die Fortsetzung in vielerlei Hinsicht ein paar Nummern größer als der erste Teil: Der Film fährt unterhaltsames Jet-Gedonner mit spannendem Showdown auf, technisch auf höchstem Niveau, dazu gut verschränkt mit der Vorgeschichte und emotional ordentlich aufgepumpt ist.
Er ist eine Ego-Show für Cruise, der es auch in seinem Alter immer noch einmal wissen will und am liebsten seine Stunts selber macht. Sicherlich stellt sich die Frage, ob man in der derzeitigen Situation überhaupt so ein großes Militär-Blockbusterspektakel sehen will. In Cannes jedenfalls bekam es tosenden Applaus und bestätigte, dass die Filme in Cruises Fall so viel spannender sind als der Mann dahinter.
Sascha Rettig/Cannes/Red.