Von ruhigen Nummern über zensierte Texte bis hin zu einer Mischung aus Rap und Folklore - am Dienstagabend war sicher für jeden Geschmack etwas dabei. Bühnentechnik und Bühnenbild waren großartig und die Acts der 17 Länder gaben in diesem ersten ESC-Halbfinale in Turin ihr Mögliches. Und nun steht fest, wer von ihnen im Finale steht und am Samstag um den Titel des Song-Contest-Gewinners 2022 kämpfen wird: Schweiz, Armenien, Island, Litauen, Portugal, Norwegen, Griechenland, Ukraine, Moldawien und die Niederlande.
Für LUM!X feat. Pia Maria als Österreichs ESC-Hoffnung ist der Traum vom Finale leider vorbei. Die Dancepop-Nummer "Halo", die oft auf Ö3 läuft, brachte zwar Stimmung ins Publikum, die beiden aber nicht weiter. Die Party-Atmosphäre mit Discjockey konnte die Juroren nicht überzeugen, und es gab nicht genügend Televoting-Anrufe bzw. SMS für den Oberösterreicher (19) und die Tirolerin (18). Die junge Innsbruckerin reagierte mit Fassung auf das Ergebnis. "Ich war zufrieden mit dem Auftritt, aber mega schade", gestand Lucas bzw. DJ Lumix. "Das Leben geht weiter", so Pia Maria.
So lief das erste Song-Contest-Halbfinale
Das Moderatorentrio bestehend aus Alessandro Cattelan, Sängerin Laura Pausini und Popstar Mika eröffnete die 66. Ausgabe des größten Wettsingens der Welt: Benvenuti! Was für ein knalliger Start! Die erste Künstlerin darf man als Rampensau bezeichnen. Albanien bringt gleich Schwung in den 66. ESC. Ronela Hajati wurde 1989 geboren, sie ist Sängerin, Songwriterin und Tänzerin, in Tirana geboren und aufgewachsen. Sie zeigt bei der Uptempo-Nummer "Sekret" mit Ethno-Elementen vollen Körpereinsatz. Nach ihren Auftritten warten die Künstler im Green Room, der mitten im Parkett der Arena platziert ist.
Nun kommt Lettland mit der launigen Band Citi Zēni (zu Deutsch „Die anderen Buben“).
Funky Outfits, Bühnenbild und Stimmung: Die umweltfreundlichen Letten singen mit zensiertem Text, weil er sonst zu ordinär wäre. Das Publikum aber kannte das nicht gesungene Wort und füllte die Pause gekonnt aus. Die Social-Media-Affinen nämlich kennen den Song aus Lettland ja schon längst, „Eat Your Salad“ ging nämlich auf TikTok viral.
Startnummer 3 hat Litauen: Monica Liu in eleganter Glitzerrobe studierte Jazz und Gesang an der Universität von Klaipėda und dem Berkeley College in Boston, sie erinnert optisch ein wenig an Mireille Mathieu. Ihre gefällige Eigenkomposition "Sentimental" wirkt wie aus der Zeit gefallen, aber keineswegs altbacken.
Nach Litauen folgt die Schweiz. Eigentlich wollte Marius Bear eine Offizierslaufbahn einschlagen, wurde dann aber doch Sänger. Der Inhalt seines Liedes? Dass man auch als Mann Gefühle zeigen darf. Darüber singt er mit kräftiger, rauer Stimme. Gefühlvoll und langsam thematisiert er toxische Männlichkeit und sagt: "Boys Do Cry, also: Auch Männer weinen".
Irgendwie süß, aber zu unauffällig: die Schülerband LPS aus Slowenien. LPS steht für „Last Pizza Slice“. Musikalisch ist ihre auf Slowenisch gesungene Nummer "Disko" allerdings mehr Swing und Funk. Das wird für sie schwer werden, das Finale zu erreichen!
Landestypische Folklore mit schönen Instrumentalteilen, gemischt mit modernen Beats und Rap: "Stefania", das Lied des Kalush Orchestra aus der Ukraine, handelt von der Mutter des Rappers - und in Zeiten wie diesen bekommt das Lied noch viel mehr Bedeutung. Emotionale Stimmung in der Halle von Turin bei einem der Favoriten des 66. Song Contests. Mit einer dynamischen Inszenierung, die in Erinnerung bleibt.
Nach dem Kalush Orchestra hätte es jeder ESC-Vertreter in diesem Jahrgang schwer gehabt. Das Intelligent Music Project für Bulgarien setzt nach dem Vorjahressieg von Maneskin mit „Intention“ auf progressiven Rock. Nicht gerade originell.
Stien den Hollander, die Sängerin mit dem Künstlernamen S10, geht bei ihren Songs gerne in die Tiefe. Und bindet ihre eigenen Erfahrungen mit Depressionen in ihre Lieder mit ein. Passend also, dass der Titel für den ESC „De Diepte“, also „Die Tiefe“ heißt. Eine Hommage an die Traurigkeit - kraftvoll und in ihrer Landessprache gesungen. Viel Applaus!
Die Spaßtruppe aus der Republik Moldau ist zurück: Heuer startet Zdob şi Zdub bereits zum dritten Mal. Da werden alle möglichen Genres kombiniert. Und bei den Kostümen wird keine Farbe ausgelassen. Und die Halle geht mit! Eine Mitstampf- und Mitklatschnummer. Und worüber wird gesungen? „Der Zug fährt, als würde er fliegen. Von einem Land zum anderen: Altes Land, neues Land – getrennt, zusammen . . ."
"Saudade, Saudade" – ruhig singt die portugiesische Sängerin Maro (Mariana Secca) von einem ganz speziellen Lebensgefühl, das es so wohl nur in Portugal zu geben scheint, denn eine wirkliche Übersetzung des Wortes gibt es gar nicht. Der Inhalt? Es geht um den Verlust eines Freundes. Was er beschreiben soll? Ein Gefühl, irgendwo zwischen Wehmut, sanfter Melancholie und Weltschmerz. Gelungen.
Taylor Swift diente als Vorbild für den kroatischen Titel „Guilty Pleasure“ der Kroatin Mia Dimšić. Es geht um zwei Männer, die sie lieben. Und wen liebt sie? Den, der sie schlecht behandelt - nette Popballade, die gut ins Radio passt. Der Song geht ins Ohr, ist aber nichts Neues.
Wie gesagt: Maneskin haben einige inspiriert. So tritt Dänemark heuer ebenfalls mit einer Rockgruppe an, auch wenn der Song "The Show" mit einem ruhigen Teil beginnt. Aber dann trommelt sich die Schlagzeugerin von Reddi die Seele aus dem Leib. Die Band ist ein Wackelkandidat fürs Finale, aber mit Ohrwurm-Faktor.
Und nun: Österreich! Zur Unterstützung hat Pia-Maria bei "Halo" zwei (nicht sichtbare) Backup-Sängerinnen, die beide Italienerinnen sind. Immer wieder ruft DJ Lumix in den Dancepop-Song als Stimmungsmacher-DJ hinein. Bei den hohen Stellen braucht die Tirolerin Unterstützung, aber die Party-Stimmung überträgt sich auf das Publikum, wo getanzt wird. Viel Rauch und Feuer als Effekte, Pia Maria hüpft am Ende vor lauter Freude wie ein kleines Kind, dass sie es hinter sich gebracht hat. Das entzückt viele. Letztendlich reichte es nicht für den Finaleinzug.
Nach der Club-Tanznummer aus "bella Austria" geht es in Turin ruhiger weiter: Die drei isländischen Schwestern, die das Trio „Systur“ (Isländisch für Schwestern) bilden, singen in "Með hækkandi sól“ über die aufgehende Sonne. Netter Folksong und hübsche Hippie-Outfits. Für einen guten Platz wird es aber nicht reichen.
Fix wird Griechenland aufsteigen ... aber man hört nicht, dass "Die Together" aus Griechenland kommt: Amanda Tenfjord (25) wurde als Amanda Klara Georgiadis geboren, lebt aber in Norwegen. Bei den Fachjuroren wird die anfangs sparsam arrangierte Ballade sicher Punkte sammeln. Amanda überzeugt als stimmsichere Interpretin; sie singt über eine Beziehung, die eigentlich in die Brüche geht, die sie aber retten will.
Ohne Kostüme geht beim ESC seit Lordi nichts mehr. Vom Wolf, dem Bananen gegeben werden sollten, damit er nicht die Großmutter isst und einem maskierten Duo, bei dem man noch nicht weiß, wer dahintersteckt: Die norwegischen Subwoolfer überzeugen den Großteil in der Halle nicht nur durch ihre lustige Choreografie, sondern auch durch den Song „Give That Wolf A Banana“ selbst. Ein Spaß-Lied, das ordentlich ins Ohr geht. Guter Beat, ausgelassene Stimmung.
Unaufgeregt und auf Englisch singt Rosa Linn für ihre Heimat Armenien. Gemischte Reaktionen gab es im Vorfeld, das Publikum vor Ort aber schien begeistert. In einem Instagram-Video sagte die 21-Jährige, Armenien sei eine endlose Inspiration für Musiker. Und ihre Begeisterung für Musik zeigt sich auch in ihrem Lied "Snap": Schöne Stimme und ein radiotaugliches, kommerzielles Lied.
Gegen 22.30 Uhr hieß es noch: "Europe, start voting now!" - nun wurden die zehn Finalisten gewählt: Schweiz, Armenien, Island, Litauen, Portugal, Norwegen, Griechenland, Ukraine, Moldawien und die Niederlande. Als Kombination aus Televoting und Fachjury-Wertung. Hinzu kommen traditionell die "Big Five", also die fünf Länder, die bereits im Vorfeld als größte Beitragszahler der EBU feststanden und ebenfalls im Finale stehen werden: Frankreich, Italien, Deutschland, Großbritannien und Spanien.
Zweites Semifinale aus Turin am 12. Mai.
Buona notte!