"Ob wir von Literatur reden, von Kunst oder Sport: Nur ganz wenige Auserwählte schaffen es – mit Zähigkeit, Ehrgeiz, Talent, Ausdauer und Glück – bis ganz hinauf an die Weltspitze. Viele von denen aber, die es ganz hinauf geschafft haben, schaffen es anschließend nicht mehr ganz herunter und enden als tragikomische Figuren. Ein dramatisches Beispiel gibt uns der berühmte Schriftsteller Boris Becker“: So habe ich meinen Ex-Kollegen einmal rezensiert.
Sein Hauptwerk, der autobiografische Roman „Augenblick verweile doch“, erschienen 2003 – eine Anspielung auf seinen literarischen Vorgänger, stürmte die Bestsellerlisten, denn Becker hatte das richtige Thema gefunden: Nicht Innerlichkeit oder moderne Bewusstseinsprosa, sondern seine Tenniskarriere und Wimbledontriumphe! Bumm-Bumm-Boris! Der Erfolg kam über Nacht wie ein Teufelspakt, und wie sein Vorgänger prognostiziert hatte, war nichts schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen. Boris heiratete Barbara, und sie lebten glücklich und zufrieden mit ihren Kindern. Aber weil sie nicht gestorben sind und der Augenblick verweilte, kam es, wie es kommen musste: Das ewig Weibliche zog Boris in die Besenkammer! Das dritte Kind mit einem russischen Modell, Boris, mir graut vor dir, die Scheidung: Das alles verarbeitete er in seinem epochalen Roman.
Bumm-Bumm-Boris fiel in eine tiefe Schaffenskrise und ergriff die nach Weltkarrierenenden üblichen Berufe: Experte. Botschafter für den Welt-Aids-Tag. Ikone (keine fixen Arbeitszeiten) Talkshowgast. Werbeträger für Bier und Onlinepoker und Internetanbieter. Wachsfigur (Madame Tussauds). Mitglied des Wirtschaftsbeirats von Bayern München. Zuletzt „Sonderattacheé für Sport und kulturelle Angelegenheiten“ der Zentralafrikanischen Republik. Am Ende dieser Berufskette stehen allzu oft Insolvenz, Zahlungsunfähigkeit, Prozess und Haftstrafe auf Bewährung. Manche Schriftsteller enden jämmerlich…
Neue Frau, neues Kind, neues Glück! Sogar eine Meeresschnecke wurde zu seiner Ehre nach ihm benannt: Bufonaria borisbeckeri! Neuer Wohnsitz in Zürich wie vor ihm Thomas Mann und Georg Büchner, neuer Zweitwohnsitz in Wimbledon wie vor ihm Schopenhauer. Neues Buch: Das Leben ist kein Spiel – sondern ein Flop – obwohl viel, viel besser geschrieben als das von Lothar Matthäus! Tja, die Mysterien des Literaturbetriebs… Und jetzt tatsächlich in den Knast! Oh Augenblick, verschwinde doch!
Egyd Gstättner